http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0343
Hänig: Das Ohristusproblem des Okkultismus. 339
barer Zeit, während Jesus noch auf derErde lebte,^)
jenes Reich selbst aufrichten, und dann ihn, den Messias,
in seine Herrlichkeit einsetzen werde, daß er dann mit
seinen Jüngern in diesem Reiche essen und trinken (Luk.
23,52; 22,29 — oO) und regieren werde, wie sich dies das
Volk von jener Gestalt vorstellte. Dann konnte allerdings
seine Tätigkeit von seiner Berufung bis zu jenem Ereignis
nur als vorbereitende aufgefaßt worden; es mußte der Sinn
des Volkes für diese Zukunft vorbereitet werden, soweit
*) Anm: Diese und die folgenden Punkte hätten auch von
R. Otto in seiner vortrefflichen Skizze des Lebens Jesu, die ich
im übrigen dringend zur Lektüre empfehle, etwas mehr hervorgehoben
werden können (Leben und Wirken Jesu nach bist. —krit.
Auffassung, 4. Aufl., Güttingen 1905). Erweist aber doch wenigstens
die Aussprüche Jesu über das Kommen auf den Wolken des Himmels
richtig den letzten Lebenstagen zu, während die Auffassung von
J.Weiß (Bibelwerk, I, J47). Jesus habe nie eine andere Autfassung
von diesem Reiche Gottes gehabt und sei daher in dieser Beziehung
auch stets etwas unklar gewesen, denn doch Jesus ein allzu große>
Maß von Phanlastik und Verworrenheit %uweistt sodaß es nicht verwunderlich
erscheint, wenn schließlich auch Psychiater wie ßinet
dieses Problem in ihrer Weiso zu lösen suchten, indem sie Jesus für —
verrückt erklärten. — Nach Otto liegt Jesus garnichts daran zu
wissen, wann diese Stunde des Reiches Gottes kommen werde, — im
Gegenteil, er eilt und sucht noch zu retten, was noch zu retten ist,
ehe diese Stunde eintritt. Er glaubt eben, dass noch zu seinen Lebzeiten
, also bald, das alles geschehen werde (erst dadurch wird
z. B. auch das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen
verständlich), da er, der .Messias, ja schon auf der Erde weilt. Er glaubte
daher auch entsprechend, als er seinen Tod voraussah, dal! sein
Kommen auf den Wolken des Himmels gauz kurze Zeit nach
seinem Tode eintreten werde und dal] einige, die jetzt noch
lebteu, den Tod nicht schmecken würden, ehe das alles
geschehe. Mit dem Umstände, daß Jesus vor Caesarea Philippi
seinen Jüngern Schweigen über seine Messianität gebietet, wird
daher auch J.Weiß (Bibel werk, 1,147 ff) nicht fertig; die Erklärung:
„er kann nicht wünschen, daß die Jünger durch eine Verkündigung
der Messianität das Volk zu Hoffnungen autregen, die er nicht erfüllen
darf*, steht im Widerspruche zu dem, was J. eben in der
Folge tat, als er sich beim Einzüge in Jerusalem dem Volke als
Messias zu erkennen gibt. Ebensowenig genügt die andere Erklärung,
daß Jesus aus Geberde und Ton offenbar auch wieder nur jenen
politischen Fanatismus herausgefühlt habe, Jen „er nicht befördern
wollte und konnte*, — von Fanatismus ist hier nirgends die Rede.
Alles das erklärt sicü wie gesagt viel eiufacher, wenn wir annehmen,
daß sich nach Jesu Meinung erst die eine Hälfte dieser Weissagung
erfüllt habe, indem er als Messias auf die Erde gekommen sei, ohne
daß ihn Gott bisher in seine Herrlichkeit eingesetzt habe. Daß
übrigens das Wort von der Einsetzung des Petrus in die „Gewalt
über Himmel und Hölle* < ine Interpolation aus der Zeit der werdenden
Kirche ist, zeigt die einfache Tatsache, daß es sich eben im
ältesten Evangelium noch nicht findet, was sonst nicht recht verständlich
wäre; dazu ist diese Sprache eine ganz andere, als wie wir
sie von Jesus sonst gehöhnt sind.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0343