http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0418
414 Psychische Studien. XL. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1913.)
daß er zugrunde gehen werde im Kampfe mit der herrschenden
Partei, klammert er sieh an die Bilder des Danielbuches
mit ihrem Endgericht, von dem vorigen nur darin
verschieden, daß er, der Messias, dann von dem Himmel
herabkommen werde, um jenes großes Gericht an den
Völkern zu vollziehen. Was sollte er aber bis dahin
machen, wenn seine Seele durch den Tod vom Körper frei
geworden war ? Er konnte als der Gesalbte Gottes natürlich
nicht im Hades leben mit den Seelen, die er später zu
richten hatte; er gehörte zu jenen Auserwählten, die gleich
nach dem Tode zum Licht hinaufstiegen, und konnte daher
dem Schächer am Kreuze getrost verheißen, der allein zu
ihm hielt: „Wahrlich, ich sage dir: heute noch wirst du
mit mir im Paradiese sein14 (Luk. 23, 43, freilich nur an
dieser Stelle).*) Somit fehlt nur noch diejenige Vorstellung
, die wir vorhin griechischen Einflüssen zugeschrieben
haben und die, da nach ihr die Entscheidung sofort nach
dem Tode gefällt werden sollte, für Jesus naturgemäß nicht
in Betracht kommen konnte. Wir finden sie daher nur
einmal in einem „Gleichnisse*, wo er (offenbar in Anlehnung
an diese Volks Vorstellung, die er nicht teilte) vor
dem Volke sprach, um ihm die Folgen seiner Schlechtigkeit
recht deutlich zu machen: im Gleichnisse vom reichen
Mann und armen Lazarus.
Es ist unnötig, auf die noch übrigen Worte Jesu einzugehen
, da sie sich ohne weiteres in die hier gegebenen
Gesichtspunkte einreihen lassen; wir wollen einstweilen
unser Resultat kurz zusammenfassen. Wir haben es hier
offenbar mit einer starken, in religiöser Hinsicht hoch-
*) Anm. Die Deutung, die W. Stärk (N. Z., II, S. 80) dieser
Stelle gibt, daß hier die Vorstellung von einem entscheidenden Gericht
sofort nach dem Tode lebendig sei (wenn anders Jesus überhaupt
das Wort gesprochen hat), ist aus dem schon ermähnten
Grunde abzulehnen: tür Jesus als den kommenden
Messias kam eben diese sofortige Entscheidung
nach deraTode gar nicht in Betracht, da sie ja für das
Gericht, das er selbst halten sollte, vorbehalten blieb. Daß die
Szene, die das Gleichnis vom reichen Mann und armen Lazarus
voraussetzt (Luk 16, 19 ff.), nur im Hades spiele, wie Stärk II,
S. 80 meint, wird kaum anzunehmen sein; Abraham gehört doch in
den Himmel und nicht in die Unterwelt, wenn sie auch, wie 8t. im
Anschluß an das äthiopische Henochbuch meint, dann in verschiedene
, durch weite Räume getrennte Regionen zerfallen und Paradies
und Hölle zugleich enthalten würde. Die Lektüre dieser beiden
kleinen Bücher ist übrigens für jeden dringend zu empfehlen , der
auch nur einigermaßen tiefer in die Probleme eindringen und den
Untergrund kennen lernen will, auf dem sich die Berichte unserer
Evangelien aufbauen.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1913/0418