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418 Psychische Studien. XL. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1913.)
menden Berichte der vier Evangelien entnehmen. Und wenn
der Vorgang, wie vieles andere nicht ganz klar beschrieben
ist, dann rührt dies daher, daß die Evangelien keine historischen
Urkunden, sondern mystische Schriften sind, die
keine gewöhnliche Biographie geben wollen. Der Vorgang
bei der Taufe besteht nämlich nicht darin, daß Jesus vom
Geiste Christi erleuchtet oder mit ihm erfüllt wurde, sondern
er bedeutet einen förmlichen Persönlichkeits Wechsel: das die
Persönlichkeit Jesu ausmachende Ich trat aus dem Leibe,
um dem Ich des Christus Platz zu machen. Auf diese
Bedeutung der Johannistaufe weist auch der Umstand hin,
daß das Fest Epiphania (Erscheinung des Gottes) ursprünglich
dem Andenken an sie gewidmet war.
Weniger einfach gestaltet sich die Beantwortung der
Frage: wer war Jesus von Nazareth ? Zunächst kann gesagt
werden, daß er ein Eingeweihter (ein auf höherer Entwicklungsstufe
stehender Mensch) war, der seine körperliche
Hüllen (den physischen, ätherischen und astralischen Leib)
so zu reinigen und vorzubereiten hatte, daß sie die Christus-
Wesenheit aufnehmen konnten. Hier liegt der Grund, warum
Jesus vor dem 30. Jahre, bezw. vor der Johannistaufe nicht
hervortrat. Um die Aufnahme des Christus zu ermöglichen,
mußten überdies mehrere Bedingungen erfüllt werden, die
einem Zusammenwirken gewisser Faktoren entsprachen; denn
nach der Geheimlehre bildet das Christentum nicht einen
Gegensatz zu anderen Religionen, sondern die Spitze einer
Pyramide, insofern in ihm frühere religiöse Strömungen
zusammenfließen, namentlich die persische, die buddhistische
und die hebräische. Da die Einflüsse dieser verschiedenen
Faktoren in einer einzigen Persönlichkeit, wenigstens von
Anfang an, gewissermaßen nicht Platz hatten, haben wir es
bis zum 12. Jahre mit zwei, ungefähr um dieselbe Zeit
geborenen Jesuskindern zu tun, auf welche jene Einflüsse
verteilt waren.
Uber die Kindheit Jesu berichten bekanntlich nur
Matth, und Luk., deren Schilderungen nun aber in so vielen
wesentlichen Punkten von einander abweichen, daß die auf
den ersten Blick ungeheuerlich erscheinende Behauptung
von den beiden Kindern durchaus gerechtfertigt erscheint.
Daß die Eltern in beiden Fällen Josef und Maria hießen,
erklärt sich leicht daraus, daß diese Namen damals häufig
vorgekommen sein mögen, — falls dieses „zufällige* Vorkommnis
nicht etwa einen tieferen Grund hat. Was sodann
bei genauerem Zusehen zuerst auffält, sind die verschiedenen
Stammbäume. Matthäus hat die Reihenfolge: Josef, Jakob,
Matthan, Eleasar, Ehud usw. bis Salomo, David. Lukas
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