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420 Psychische Studien. XL. Jahrg. 7. Heft. (Juli 1913.)
wiederum eine mystische Bedeutung, auf deren Erklärung
verziehtet werden muß *)
Bei der Geburt des nathanisehen Jesus hat sich etwas
ereignet, was folgerichtig nur von Luk. berichtet wird: die
Hirten sahen „himmlische Heerschaaren". Diese also unbestimmt
bezeichnete Erscheinung war nach der geheimwissenschaftlichen
Quelle eine aus der geistigen Welt kommende
Manifestation des Buddha, der dem Kinde gewisse
Kräfte zufließen ließ (ohne sich jedoch in ihm förmlich zu
verkörpern). Mit dem nathanischen Jesut hatte es auch
insofern eine besondere Bewandtnis, als er im Gegensatz
zum salomonischen ein träumerisches Wesen von reichstem
Gefühlsleben, jedoch ohne eigentliches Ich-Bewußtsein war.
Mit dieser Verschiedenheit der Kinder hängt es zusammen,
daß die Verkündigung der Geburt — was wiederum bedeutsam
ist — bei Matth, an den Vater, bei Luk, hingegen
an die Mutter gerichtet ist. Ferner war die besondere
Verfassung des nathanischen Jesus (sein mangelndes Ich-
Bewußtsein) die Veranlassung zu dem innigen Verhältnis,
in welchem das Kind zum kleinen Johannes, dem späteren
Täufer, stand. Im Evangelium kommt dies dadurch zum
Ausdruck, daß der noch ungeborene Johannes im Leibe
seiner Mutter „hüpfte", als Maria, die eben empfangen hatte,
Elisabeth besuchte (Luk. 1, 41—44).
Beim Osterfest des Jahres, in welchem der nathanische
Jesus 12 Jahre alt geworden, ereignete sich nun das höchst
Merkwürdige, daß das Ich des salomonischen Jesus seinen
Körper verließ und von dem des nathanischen Besitz ergriff,
worauf jener Körper allmählich dahinsiechte. Von diesem
Zeitpunkt bis zur Johannistaufe haben wir es also nur mehr
mit einem Jesus zu tun: mit der Individualität des einstigen
Zarathustra, die den von Buddha durchkrafteten Leib des
nathanischen Jesus bewohnt. Die mit diesem Jesus vorgegangene
Veränderung bringt Luk. damit zur Sprache,
daß er sagt, die Eltern „entsetzten sich*, als sie ihn im
Tempel wiedergefunden: das träumerische Kind plötzlich
im belehrenden Gespräch mit den Schriftgelehrten.
Bald nach dem leiblichen Tode des salomonischen Jesus
starb auch dessen Vater, sowie die nathanische Mutter,
worauf die salomonische Mutter mit ihren Kindern — der
nathanische Jesus hatte bedeutsamerweise keine Geschwister;
*) Wenn gerade bei den wichtigsten Punkten auf eine „ Erklärung
verzichtet werden muß*, so ist doch eben damit mein Urteil
bestätigt, daß sich mit einer derartigen Theorie wissenschaftlich
absolut nichts anfangen läßt. — Maier.
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