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Hänig: Das Christusproblem des Okkultismus 475
hängt: die nach den sog. Wundern. Ich kann mich hier
kurz fassen, da ich diese Frage schon früher in den „ Psych.
Studien" eingehender behandelt habe, und will daher nur
kurz das dort Gesagte zusammenfassen. Der Wunderglaube
beruht bekanntlich auf Unkenntnis der Naturgesetze
oder nimmt, falls er sie kennt, an, daß die Gottheit diese
damit durchbrochen habe; da wir aber heute überall in dem
Organismus der Natur Regelmäßigkeit beobachten, müßten
wir für die Annahme solcher Ereignisse stärkere Beweise
fordern, als sie uns durch das Leben Jesu gegeben sind,
das, wie wir gesehen haben, bei näherer Betrachtung nicht
als das eines Gottes erscheint, sondern als das eines
Menschen, wenn er auch durch religiöse Genialität ausgezeichnet
war Wir müssen daher die Wunder entweder
als Fiktion betrachten (so einen Teil der Totenerweckungen),
die, je nach der betreffenden Stelle, an der sie berichtet
werden, erklärt werden müssen (die Totenerweckungen, die
das Johannesevangelium allein hat, sind schon deshalb
stark anzuzweifeln, weil sonst ihr Fehlen in den anderen
Evangelien unverständlich bliebe), oder sie nach den Erfahrungen
unserer Wissenschaft erklären, wobei besonders
mit Bücksicht auf den Okkultismus beachtet werden muß,
daß sich Manches, was heute in dieser Hinsicht für „un- #
möglich * gilt, eines Tages als ganz natürlich herausstellen
kann; andere Berichte tragen so sehr denCharakter allgemeiner
Volks Vorstellungen, daß sie für die Kritik nicht in Betracht
kommen können.*) Gewissermaßen den Gipfelpunkt aller
Kirche (wenigstens in Glaubenssachen) am allerwenigsten besessen
hat; S. 416, Z. 23 v. o.: müßten; ebenda Z. 6 v. u.: Leben Jesu;
Z 5 v. u.: Jesus.
*) Anm. Wie denn überhaupt zu beachten ist, daß alle diese
Wunder, die von den Evangelien Jesus zugeschrieben werden, auch
von anderer Seite aus dem Altertum berichtet werden, ohne daß
hier eine Abhängigkeit vorläge; der bloße Bericht ist also durchaus
noch kein Beweis für die Wirklichkeit eines solchen Ereignisses.
Wer sich dafür interessiert, findet eine Menge Material zusammengestellt
bei L. P. Fiebig: „Antike Wundergeschichten zum
Studium der Wunder des JSeuen Testamentes* ^kleine Texte für
Vorlesungen und Übungen, hrsg. v. A. Lietzmann, Bonn 1911,
Nr. 79: S. 3 — 11 Heilungen von Epidaurus; S. 13 eine Dämonenbeschwörung
vor Vespasian; S. 13—16 Heilungen durch diesen
Kaiser; S. 18-19 Totenerweckungen durch Asklepiades; 8. 23—25
Dämonenaustreibung bei den Indern und durch Apollonius von Tyana,
dessen Biograph ursprünglich durchaus nicht die Wunder Jesu
nachahmen wollte!, do. S 24 Heilung eines Lahmen, eines Blinden,
eines Mannes mit der gelähmten Hand bei den Indern; 8. 26 sogar
eine Totenerweckung durch Apollonius von Tyana). Besonders auffällig
ist das, wenn man die Wunderberichte von Jesus und Buddha
nebeneinander hält („Leben BuddhaV bei Beklam, deutsch von Th.
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