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Blum: Der Streit um die denkenden Pferde. 483
davon, wie oder nach welcher Methode sie zu ihren Resultaten
gelangen; daß es sich dabei, fast nie, weder um
mnemotechnische Tricks, noch um Kopfrechnungen handelt,
ja daß dies z. B. bei dem im höchsten Grade schwachsinnigen
18 iährigen Franzosen Fleury und dem 10 jährigen, ebenfalls
schlacfiinnigen Italiener iangiamele, di i/einer halben
Minute die dritte Wurzel aus 3796416 zog, vollständig ausgeschlossen
ist, da sie einer für solche Fälle nötigen Denkoperation
ebenso unfähig sind, wie ein Pferd oder ein Hund;
— und — daß im Grund genommen die beiderlei Phänomene
ihrem Wesen nach identisch sind.
Wenn wir nun den Versuch zur Lösung des Rätsels
machen wollen, so können wir uns an dieser Stelle, bei der
außergewöhnlichen Kompliziertheit der Erscheinung, unmöglich
auf eine gemeinverständliche, erschöpfende Erklärung
einlassen; wir können nur die Richtung zeigen, den Weg
andeuten, den wir einzuschlagen haben, um zu einer Lösung
zu gelangen, und müssen es der Intuition des Einzelnen
überlassen, sich den Sachverhalt vollends selbst klar zu
machen. Auch können wir keine Beweise liefern für die
Theorien und Hypothesen, die wir aufstellen, noch Quellen
angeben, da uns das viel zu weit führen würde. Nur so viel
wollen wir bemerken, daß alle unsere Behauptungen wohl-
begründet und jederzeit gegen jede Quantität und jede
Qualität von Intelligenz zu verteidigen sind, was auch von
dem mit psychischen Phänomenen Vertrauten wohl kaum
bezweifelt werden dürfte. —
.Alles, was betreffs der Vorgänge in der materiellen
d. h. der sichtbaren und greifbaren Welt empirisch nach-»
zuweisen ist, haben wir durch wissenschaftliche
Wahrnehmung festgestellt und sind bereits in den
Regionen des Unsichtbaren angelangt, wo die physischen Sinne
und die apparativen Hilfsmittel des Normalmenschen versagen
. Aber durch wissenschaftliches Denken
ist auch das Unsichtbare zu erforschen und „ M e t a -
p h y s i k " steht nur so lange abseits und im Gegensatz
zu Naturwissenschaft, als der mechanische Antrieb,
beziehungsweise die Gesetze der in ihr Gebiet gehörigen,
im Unsichtbaren sich abspielenden Vorgänge noch nicht
erkannt sind.
,Ex nihilo nihil fit* — aus Nichts kann nicht etwas
gemacht werden und »quod non agit, non existit* — was
nicht wirkt, existiert nicht, sind zwei der unumstößlichsten
Axiome der Wissenschaft. Ergo: „Alles, was „ist* und
„wirkt* im Weltall, muß auch „wirklich* sein, es
muß Form haben und Raum einnehmen, d. h. es muß
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