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522 Psychische Studien. XL. Jahrg. 9. Heft. (September 1913.)
Das Christusproblem mit besonderer Berücksichtigung
: des Okkultismus.
Vom Kand. des höheren Lehramts Hans Hänig.
(Schluß von Seite 481.)
So gelingt es also auch hier, Klarheit in diese verworrenen
Begriffe zu bringen und die Lösung der Auf-
erstehungsfrage, wie sie die moderne Theologie gefunden
hat, erscheint durchaus nicht phantastisch, da sie ja nur
an die gegebenen Vorstellungsreihen anknüpft. Unter dem
furchtbaren Eindruck von Jesu Hinrichtung, so besagt sie,
werden die Jünger sich in ihre Heimat (Mark. 16, 7) begeben
haben, wo sie sich vergeblich nach einer Lösung für
diesen Ausgang fragten. Erst später fanden sie in dem
alten Testament (vgl. Luk. 24, 26) die Antwort, daß das Alles
voraus bestimmt gewesen sei, daß der Christus habe leiden,
müssen, daß er aber hinaufgesteigen sei zum Himmel, bis
er wiederkommen werde, die Lebendigen und die Toten zu
richten, ehe noch alle, die jetzt lebten, die Augen geschlossen
hätten. Und, daran anschließend, daß Jesus für
die Menschheit in den Tod gegangen sei, — so entsteht
die Anschauung, die am sog. Pfingsttage schon fertig ist
und hier zum ersten Male in die Öffentlichkeit tritt f bis
sie von Paulus zu ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung erhoben
wurde. Daher ist auch die Frage verhältnismäßig
nebensächlich, ob die Erscheinungen der Jünger nach Jesu
Tode, die sich ja vom Standpunkte des Okkultismus wohl
erklären lassen, auf Wahrheit beruhen oder auf bloßer
Sinnestäuschung: die treibenden Kräfte dieser neuen Bewegung
liegen nicht hier, wie sehr wir das auch nach den
Berichten jener Zeit glauben möchten, sondern in dem Eindruck
der Person Jesu und seiner Hinrichtung, dazu in
den religiösen Anschauungen des jüdischen Volkes, die
auch in Jesu Leben eine solche Rolle spielen und auch in
der späteren Entwickelung des Christentums von so großem
Einfluß geworden sind.*)
*) Aum. Damit fällt auch die schon «früher erwähnte Anschauung
von dem mystischen Christus weg: Christus der Meister,
der seine „Lehre* in symbolische Form kleidete, sodaß man erst
eines besonderen Schlüssels dazu bedarf, um diese Geheimnisse zu
enträtseln. Diese Anschauung widerspricht eben vollständig der
Überlieferung, die wir doch nicht ohne weiteres auf Grund anderer,
selbst nicht bewiesener Meinungen für falsch halten können. Man
könnte allerdings von theosophischer Seite auf den Parallelismus
von Erkenntnis und Ausbildung der okkulten Kräfte im Menschen
aufmerksam machen: wie die Ausbildung höherer okkulter Kräfte
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