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532 Psychische Studien. XL. Jahrg. 9. Heft. (September 1913.)
Wir haben raffiniert konstruierte Maschinen, welche
in jeder Beziehung die Handarbeit des Menschen ersetzen;
aber jede Maschine setzt einen denkenden Geist voraus,
der den Mechanismus ersinnt und die einzelnen Teile plant,
um sie vom Mechaniker konstruieren und nach seinen im
voraus bestimmten Anordnungen und Angaben zusammensetzen
zu lassen. Nur der Plan ist nötig, nur die Zeichnung;
das Verarbeiten des Rohmaterials zu den einzelnen Teilen
und das Zusammensetzen der Maschine besorgen die Handlanger
, ohne im besonderen den Zweck der Teile oder selbst
im Allgemeinen den der Maschine zu kennen. Versorgt
mit der nötigen Kraft verrichtet diese ihre Arbeit dann
mechanisch. Aber niemals wird sich dieser Mechanismus
der Maschine zur Freiheit entwickeln und
die Maschine selbständig ihre Arbeit verrichten können; —
ebensowenig ist je ein Übergang möglich zwischen Tier-
und Menschenseele.
Schon die primitivste Zelle, und jede individuelle
Pflanze ist ein Organismus, zusammengesetzt unter dem
Einfluß einer blinden Kraft (vis formativa), die weder
denkt, noch bewußt handelt, sondern im Dienste eines
dirigierenden Geistes steht, — und die Pflanze wächst
und blüht nur automatisch. Ebenso ist der Zellenieib
des Tieres, sowie der des Menschen, eine Einheit, ein Organismus
, den wir als eine Maschine erkennen, welche ganz
automatisch arbeitet und physiologische Funktionen verrichtet
, ohne zu denken, welche aber in allen ihren
Arrangements und Details in solch auffallender Weise Zweck
und Absicht verrät, und namentlich beim Menschen einen
solch wunderbar komplizierten Mechanismus darstellt, daß
die synthetische Einwirkung einer ganz hervorragenden Intelligenz
gar nicht zu verkennen ist. Aber diese Intelligenz
rührt nicht von der „Psyche* her, denn sie hat schon
existiert und geplant, ehe die Psyche sich des Organismus
zur Betätigung bedienen konnte. Es ist zunächst auch
nicht das Amt der Psyche, den Zellenleib zu bauen und
zu organisieren, sondern sie hat nur Sorge dafür zu
tragen, durch entsprechendes Bewegen der Glieder, durch
Instinkt getrieben, das nötige Material zur Erhaltung und
zum weiteren Aufbau des vegetierenden Körpers beizu-
schaffen. In dieser Hinsicht stellt die Psyche gewissermaßen
nur die Triebkraft der Maschine dar. Und so wenig
der Dampf — der gleichsam nur die immanente Funktion
der Materie vertritt — das Eäderwerk baut, das er zu
treiben hat, so wenig war die den Zellenleib beseelende
Psyche das organisierende Prinzip des Körpers,
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