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Literaturbericht.
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Die scharfsinnige und sorgfältige Atiseinandersetzung beginnt
mit einer Untersuchung über Sinn und Wert des Mitgefühls und
der verwandten, zum Teil dafür eingesetzten Begriffe des Nachfühlens
und Einfühlens. Während nun das Mitfühlen nur als ein
reaktives Verhalten erkannt wird, erscheint die Liebe als eine Bewegung
des Gemüts, ein geistiger — und zwar spontaner — Akt;
sie ist (8. 62) „die Bewegung, in der jeder Gegenstand, der Werte
trägt, zu den für ihn möglichen höchsten Werten gelangt, oder in
der er sein ideales Wertwesen, das ihm eigentümlich ist, erreicht
— Haii aber die entgegengesetzte Bewegung*. Zu beachten ist dabei
, daß diese Bewegung nicht nur auf Menschen gerichtet zu sein
braucht; es gibt doch auch Liebe zum Schönen, zur Natur, zu
Gott, womit kein bloßes Einfühlen menschlichen Erlebens in die
Außenwelt und das Weltg&nze gegeben ist. Ausführlich setzt sich
der Ve**f. auseinander mit den realistischen Theorien, namentlich
mit Freud's Ontogenie der sympathischen Gefühle, dessen Begriff
der „Libido* — als elementares Lustgefühl, dem aber schließlich
der Charakter der seelischen Gesamtenergie beigelegt wird — zur
Ableitung der Liebe im vollen Sinne nicht ausreicht. Von der Geschlechtsliebe
, im Unterschied vom Geschlechtstrieb (der als solcher
wahllos auf das andere Geschlecht gerichtet ist) wird hervorgehoben,
daß die von ihr getroffene Wahl prinzipiell in der Eichtung der
„edlen" Lebensqualitäten erfolgt und durch keinerlei auf rein
mechanische Grundvorstellungen und wissenschaftliche Erfahrung
gegründete Einrichtung ersetzt werden kann, — sodaß es gegenüber
der sogenannten „Rassenethik* (S. 112) „eine direkte, auf Veredelung
der Basse gerichtete Politik, d. h. eine solche, die die für die
Fortpflanzung geeigneten Individuen nach irgendwelchen objektiven
Merkmalen zur Paarung zu bringen sucht, ohne dabei die
durch die Geschlechtsliebe vollzogene und aliein vollziehbare unmittelbare
Wahl als ausschlaggebenden Grund der Paarung
heranzuziehen, von Hause aus nicht geben kann. Wernekke.
Entstehen von Empfindung und Bewußtsein. Versuch einer neuen Erkenntnistheorie
. Von Dr. med. Max von Porten (Hamburg).
Leipzig, Akademische Verlags iresellschaft m. b. H. 1910 (03 S.
gr 8°).
Wenn sich die Zustimmung zu einer Theorie durch ihre Einfachheit
erlangen lielie, so dürfte sich der Verf. in seinem Kampfe
gegen „die Leute mit offenen oder verborgenen metaphysischen
.Neigungen* wohl Erfolg versprechen. Das wissenschaftliche Gewand
ist schon gegeben durch die Anwendung der von Dr. Semon eingeführten
unentbehrlichen Ausdrücke. Da für den Lehrvortrag des
Östwald'schen Monismus die noch immer landläufige Sprache der
Wissenschaft als unzureichend erklärt wird, so müssen Bezeichnungen
wie „Mneme*, ^iigxamm*. ,vividtf, „ekphorieren* anstatt Gedächtnis
, (Gedächtnis-)Spur, lebhaft, hinaus?ersetzen usw. zur Unterstützung
der wünschenswerten Klarheit dienen. Doch zur Hache.
Aus dem beim Zusammentreffen zweier einfacher Zellen entstehenden
Druck und Gegendruck und dem dadurch bedingten Stoffwechsel
entspringt die Urform der Empfindung: hieraus läßt sich
das Verhalten einer Doppelzelie herleiten, in der bereits eine sensible
und eine motorische Kraftäufterung unterschieden werden kann.
Die Entwickelung zu eigentlichen Organismen läßt sich nun durch
weitere Zusammenhäufung von Zellen erklären, ebenso die Entstehung
von Tiersegmenten und von wirklichen Tieren —, und auf
Grund biologischer Beobachtungen und vivisektorischer Versuche
an Fröschen, Kröten, Hunden usw. läüt sich endlich der Schluß auf
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