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Kaindl: Von .der zerstörenden Kraft des Tones. 579
Von der zerstörenden Kraft des Tones.
Von Alois Kaindl (Linz a. D).
In einer im Jahre 1910 in dieser Zeitschrift erschienenen
Abhandlung von Henry A. Fotherby (Ton und
Musik etc.) ist unter anderem auch von der formativen
Macht der Töne die Rede.
Im Gegensatze hierzu befaßt sich ein Artikel des in
Los Angeles (Kalifornien) erscheinenden „Examiner* (vom
15. Juni 1913), den ich der Güte des Herrn Prof. Reichel
verdanke, mit der zerstörenden Kraft derselben.
Veranlassung hierzu gab eine wissenschaftliche Untersuchung
Caruso's durch den Londoner Physikprofessor
Dr. George Lloyd. Dieser stellte fest, daß das
Knochengerüst dieses berühmten Sängers inbezug auf
Resonanzfähigkeit nicht seinesgleichen habe und daß sich
diese letztere ganz ungewölmlicherweise auch auf sein
Knorpel- und Muskelsystem erstrecke und insofern ein
Unikum bilde, als es nicht, wie das anderer Personen, wo
jeder Teil desselben seinen eigenen Grundton habe, mehr-
tönig, sondern einheitlich und eintönig vibriere bezw.
schwinge. Außerdem fand er, daß Caruso's Stimmbänder
um einen vollen Aehtelzoll länger sind, als die anderer
von ihm untersuchter Sänger. Ihre Vibrabilität sei so
außerordentlich, daß sie beim hohen Cis 550 Schwingungen
in der Sekunde machen.
Diese ganz eigenartige Beschaffenheit von Caruso's
physischer Organisation schließe aber für ihn auch die
ganz einzigartige Gefahr in sich, gelegentlich einmal, wenn
der Ton, auf den sein organisches System gestimmt ist, in
seiner Nähe allzu schrill und anhaltend erschallt, entweder
in Atome zu zerstieben oder, falls er dabei nur seine
Knochen einbüßt, in eine weichtierähnlicbe Körpermasse
verwandelt zu werden. Der für Caruso so verhängnisvolle
Ton, der gleich einem Damoklesschwert beständig sein
Leben bedroht und es auf eine ebenso unsichere Basis
stellt, wie Glück und Glas, die bekanntlich beide leicht
brechen, kann möglicherweise im Nebelhorn eines Dampfers,
in der Dampfpfeife einer Lokomotive oder selbst in der
aus einem Gießkannenrohr improvisierten Trompete eines
Gassenjungen verborgen, in der Welt der Töne, welche in
allen Arten, Qualitäten und Höhen den Raum durchschwirren
, heimtückisch auf ihn lauern.
Der Autor fühlt hier das dringende Bedürfnis, ein
Lächeln des Lesers abzuwehren und einer komischen Auffassung
der Sache vorzubeugen, indem er beteuert, daß es
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