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588 Psychische Studien. XL. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1918.)
wenn man rückblickend die ganze Entwicklung überschaut,
dann stimmt man gern dem Rheinischen: „Et hett noch
good gegange !Ä zu.
Aber jeder Denkende, ob kirchengläubig oder nicht,
fühlt die wahre Bedeutung des: „Dein Wille geschehe —
nicht der meine!" Die alles übersehende Gottheit weiß
besser, was zu meinem Besten dient, als ich, weiß, daß das,
was ich als eine Mißernte ansehe, in Wirklichkeit für mich
vielleicht eine Saat bedeutet! Und wie wunderbar kommt
dieses Fühlen und Denken in religösen Ausdrucksformen
zur Geltung, — ich denke an die herrlichen Kantaten von
Johann Sebastian Bach! Sein „Gottes Zeit ist die allerbeste
! In ihm leben, weben, in ihm sterben wir zu rechter
Zeit!14 bringt die tiefsten Gedanken theosophischer Weisheit
dem Menschenherzen nahe. Und ob ;ch mit Engelszungen
tiefste Weisheit kündete, die jedem zweifelnden,
fragenden Gedanken Rede und Antwort stehen könnte, hier
versagt alles Wissen, alles Denken, alles Verstehen, jede
Verstandestätigkeit: „Gefühl ist alles f jene Sprache überwältigender
Melodien und Harmonien aber findet den Weg
zum Herzen! Das aber wird von jedem denkenden Menschen
als Bedürfnis empfunden: wie vereinige ich diese
wogenden Empfindungen mit den klaren Forderungen
meines Intellektes? Und ich verstehe das drängende
Fragen: wie kommst du zu der Uberzeugung der ewigen
Fortdauer, des Weiterlebens nach dem Tode? Darauf die
Antwort: mir ist der Tod ein Wechsel meiner Dar-
stellungsfoim; ewig war ich, bin ich und werde ich sein!
Wie wäre eine Ewigkeit denkbar, die einen Anfang hat?
Den Anfang dieses Lebens?
Aber wenn dies auch zugegeben wird, das, worauf es
dem Frager ankommt, ist ja doch: gibt es ein bewußtes
Leben nach dem Tode ? Wird dies Bewußtsein, das ja
doch nur Ergebnis dieses Körpers ist, nach dem Abstreifen
dieser körperlichen Hülle fortleben ? Bleibt Gottlieb Schulze
dieser Gottlieb, der er gewesen? Ja, ist denn dieser Gottlieb
während der Zeit seines körperlichen Daseins immer derselbe
gewesen? Und noch eine Gegenfrage: würden wir
wünschen, daß wir ein geliebtes Kind, das wir vielleicht
als zartes Baby vor einem halben Jahre durch den Tod
verloren haben, später ungemessene Zeiten hindurch immer
als solch zartes Baby wiedersehen werden ? Immer als dasselbe
Windelkissen?
Werden wir uns doch darüber klar: was ist der Mensch ? Ein
Teil jener ewigen Gottheit, der sich ins körperliche Dasein
drängt; dieses Menschwesen ist uns lieb, - jetzt nehmen
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