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590 Psychische Studien. XL. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1913.)
dualisiert, also dargestellt hat. „Was nun das, was wir
allein als Wille zum Leben und Kern aller Erscheinung
kennen, außerdem sein mag, wenn es nämlich dieses
nicht mehr oder noch nicht ist, ist ein transzendentes Problem
, d. h. ein solches, dessen Lösung die Formen unseres
Intellekts, welche bloße Funktionen eines zum Dienste der
individuellen Willenserseheinung bestimmten Gehirnes sind,
gar nie zu fassen und zu denken fähig sind,« sagt Schopenhauer
in einem Briefe an Frauenstädt vom 21. Aug. 1852.
Also zu der mir gestellten Frage zurück! Ich denke
mir das Fortleben nach dem Tode als das Ausschwingen
der in diesem Leben betätigten Willensbejahung. Ich
wollte mich darstellen in dieser Verkörperung; dieser
Wille ist etwas zurückgeebbt; er wird mich aber zu neuer
Darstellung treiben.
Bis dies der Fall sein wird, bin ich im körperlosen
Zustande — aber als Individuum; nur „wer keinen
Namen sich errang, noch Gutes will, gehört den Elementen
antf ! sagt Goethe im „Faust44. Jene elementare Existenz
lockt mich nicht, ich will mich als Ich betätigen! Das erscheint
mir auch als die Aufgabe dieser unserer Entwicke-
lungsstufe. Aus der elementaren Existenz zur Individualisierung
unseres Menschwesens; uns erscheint ja als
elementarer Brei, was auch eine Summe von niederen
Individualitäten ist; aber auch die Summe unserer jetzigen
Individualitäten wird einem Fortgeschrittenen vielleicht als
Menschheitsbrei erscheinen, als elementare Masse! — Ich
kann es wohl als einen höheren Entwickelungszustand
verstehen, wenn die Willensverneinung in einem Menschen
so mächtig geworden ist, daß er nicht mehr d a sein will
— ich selbst stehe noch nicht auf dieser Höhe. Wohlverstanden
! Das Nichtwollen ist auch oft genug nur ein
„nicht dies, sondern etwas Besseres wollen"!; wenigstens
.dürfte das gewöhnliche Selbstmordmotiv nur ein: Bnicht in
dieser Darstellung Sein - Wollen44 sein! Und solches
Verlangen nach etwas Besserem ist freilich kein Nichtwollen
, sondern ein sehr bestimmtes Wollen, eine Daseins
bejahung.
Und hierzu noch ein Wort: der Mensch ist gewöhnt,
alle Klagen, die er an das Schicksal über Leid und Unglück
richtet, als unverdient zu betrachten, aber nur an
sich selbst hat er sie zu richten! Er selbst hat gewählt
, als er von einem höheren Standpunkte aus gerade
diese Verkörperung als seine Darstellung bestimmte und
in ihr ins Leben trat. Jetzt folgert er die Notwendigkeit
seiner Handlungen aus seinem Sein; für seine Taten wird
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