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Friedrichsort: Eine Weltanschauung.
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er verantwortlich gemacht und er sieht doch klar, daß sie
— ach! wie oft — nur die notwendigen Folgen seines Daseins
, seiner durch sein Schicksal bedingten Stellung sind.
Aber die Lösung liegt eben darin, daß dieses Sein freier
Wille gewesen, daß die Notwendigkeit erst dem Handeln
zufällt. „Ein Grundirrtum aller Zeiten war es, die Notwendigkeit
dem Sein, die Freiheit dem Handeln beizulegen,*
sagt die Juncker; aber die Schuld trägt, der da wählte; die
Gottheit trägt keine Schuld! In unserem Wesen, in dem,
was wir sind, liegt die Freiheit; aber aus ihm und den
uns bewegenden, auf uns wirkenden Motiven folgt die
Notwendigkeit unsererHandlungen. Unsere
Rechtspflege straft unsere unrechten Handlungen; auf die
Ursachen dieser Handlungen greift sie nicht zurück, die
sind einem anderen Gesetz, dem des Karma, unterworfen.
Das aber erstreckt seine Fäden über mehr als eine körperliche
Darstellung!
Also nach diesem Menschenleben wird in einem körperlosen
Dasein ein Ausschwingen der jetzt angeschlagenen
Saiten stattfinden, bis der Durst nach Dasein eine neue
Verkörperung wünscht Einst wird wohl kein Verlangen
mehr danach lebendig sein und dann erst tritt die Vereinigung
ein mit Ihm, dem Alleinen! Das trennt meinen
Glauben von dem der Kirche, die ja nach einer kurzen
Spanne Erdenleben die ewige Seligkeit annimmt, oder wohl
gar mit Höllenstrafen droht! Ihre Symbole bedeuten mir
Anderes.
Mir ist Uberzeugung, daß dem Durst nach Dasein
das Dasein gewiß ist; ich kann es aber verstehen, wenn
Byron sagt:
„Oount o'er the joys thine hours have seen,
Count o'er the days from anguish free,
And know, whatever thou hast been:
'Tis something better not to bei*
Und daß dann der Wunsch nach dem Nichtsein lebendig
wird! Ihm aber die Verheißung, daß dem Wunsche nach
Nichtsein — das Nichtsein gewiß ist! — Klingt das
pessimistisch? Weltschmerzlich? Traurig? Nun, wer das
empfindet, der hegt sicher noch nicht den Wunsch nach
Nichtsein, der will noch — gleich mir!
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