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596 Psychische Studien. XL. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1913)
wirken, widerspricht der Erfahrung: die Pferde zeigen in
ihrem gewöhnlichen Gebahren keinerlei Anzeichen besonderer
Intelligenz. Dagegen lernen sie die „Lösung" der
schwierigsten mathematischen Aufgaben in so kurzer Zeit
und schreiten durch Übung so rasch fort, daß ihre Intelligenz
, wenn sie vorhanden wäre, mit der menschlichen wenig
Ähnlichkeit hätte. Ich möchte sagen, sie zeigen in der
„Lösung" der Aufgaben wie "j/4 477 456 (= 46) zu viel Intelligenz
. Den fanatischen „Monisten", welche die ersten
Versuche über die Intelligenz der Pferde so bereitwillig
für ihre Weltanschauung ausbeuteten, beginnt es denn auch
langsam etwas ungeheuer zu werden. Man versteht neuerdings
ihre heilige Scheu vor den Intelligenzproben der ein-
hufigen Mathematiker und ihren heimlichen Wunsch nach
Entdeckung unbewußter Hilfen. Denn das Ubermaß von
mathematischer Intelligenz ist mit dem allmählich ansteigenden
Stufengang der Entwickelung unvereinbar, und
sein Erwerb oder sein biologischer Nutzen im Kampf ums
Dasein bleiben rätselhaft. Daher kommt gerade vom Standpunkt
der Entwickelungslehre der Annahme einer intelligenten
Denkfähigkeit der Pferde — nur durch Hiifshypo-
thesen haltbar! — wenig Wahrscheinlichkeit zu.
Die Hypothese, daß die Pferde die schwierigen
Rechenaufgaben unter Anwendung vernünftiger Überlegungen
raten, ist denselben Einwänden wie die vorige ausgesetzt
, weil das Raten eine ebenso verwickelte Intelligenz-
leistung. wie die rechnerische Auflösung einer j ist. Durch
statistische Bearbeitung der Antworten der Pferde hat Prof.
Plate gefunden, daß mit der Schwierigkeit der Aufgaben
die Fehler zunehmen. Diese Tatsache fiele erst dann für
die Intelligenzhypothese ins Gewicht, wenn vorher gezeigt
ist, daß andere Hypothesen sie nicht mit gleicher Wahrscheinlichkeit
erklären könnten.
Die wahrscheinlichste und ökonomischste Hypothese
scheint gegenwärtig folgende zu sein: Pferde besitzen ein
schwaches, der menschlichen Intelligenz unvergleichbares
Begriffsvermögen, das sie befähigt zu zählen und Zahlen
und Zahlwörter von der Tafel abzulesen (v. Buttel-Reepen).
Außerdem haben sie einen der Anschauung verwandten Sinn
(Schneider), mit dem sie die Zahlen bewältigen ohne logische
Operationen mit ihnen vorzunehmen. Wie uns die Beziehung
2X2 = 4, so leuchtet den Pferden bei allen Zahlen die
Beziehung zwischen Aufgabe und Lösung ohne logischen
Beweis aus dem Wesen der Anschauung heraus ein. Sie
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