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612 Psychische Studien. XL. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1913.)
unermüdlicher Geduld und zartestem Verständnis belauscht.
So berichtet er jetzt von drei Fällen, deren Ergebnis für
ihn ist die Tiere ahnen wie die Menschen den Tod vor-
aus und empfinden und beantworten dieses Gefühl genau
so, wie der Mensch — ein Beweis mehr für seine These,
daß die Tiere einen Intellekt, und nicht nur einen Instinkt,
der auf die Erhaltung der Basse abzielt, besitzen. Der
Autor hatte vor einiger Zeit einen Jagdhund, Fellow, der
mit allen im Hause sehr befreundet war. Auf der Jagd
leistete er außerdem die vorzüglichsten Dienste eines gut
dressierten und intelligenten Titres. Aber das Alter kL
und mit ihm Krankheiten. Immer mehr mußte man Fellow
die Jagdpartien abkürzen, ihm schließlich nur einfache
Spaziergänge gewähren und ihn endlich ganz im Hause
behalten. Der Hund blieb immer freundlich und guter
Laune; nur wenn er seinen Herrn mit einem Nachfolger auf
die Jagd gehen sah, zeigte er seinen Schmerz durch ein
wehmütiges Bellen. Schließlich konnte Fellow nicht einmal
die Hütte verlassen, in die man ihn gebettet hatte. Eines
Tages rührte er nicht mehr das Essen an, das man ihm
hinstellte, — so schwach war er. Als man zu ihm kam und
ihm zusprach, rührte er sich kaum mehr. Am Abend > als
der Hausherr mit den Seinen beim Essen saß, hörte man
plötzlich an der Tür des Speisezimmers kratzen. Den
Hunden war es streng verboten, ins Haus zu kommen, —
wer mochte dies also sein? Man öffnete die Tür, und sah
den armen Fellow, der sich nur mit Mühe noch schleppte,
auf seinen schwachen Beinen zitterte und mit dem Schweif
hin und her pendelte, gleichsam als Zeichen der Entschuldigung
für den Ungehorsam, den er jetzt an den Tag legte.
Er näherte sich jedem einzelnen der Familie und ließ sich
von ihm liebkosen. Als er so bei allen vorbeigegangen
war, schleppte er sich mühsam wieder zur Tür, um zu
seiner Hütte zurückzukehren. Auf der Hälfte des Weges
aber legte er sich sanft hin, und als man sich ihm näherte,
sah man: er war tot. — Man kann diese Szene nur so erklären
: der Hund fühlte, daß er sterben würde, und er
wollte noch seine Freunde ein letztes Mal sehen und ihnen
Lebewohl sagen. Die gleiche Beobachtung konnte der
Autor auch bei einem Pferde machen. Er hatte ein achtundzwanzig
Jahre altes Pferd, das immer bei ihm gewesen
war und das er sehr liebte. Eines Tages, nach einer besonders
harten Arbeit, fiel es nieder und wurde krank.
Man pflegte es, so gut es ging, aber es konnte nicht mehr
gesunden. Man ließ es im Stalle, ohne es anzubinden, da
es sich ja ohnehin kaum rühren konnte. Bei einem Besuch,
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