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624 Psychische Studien. XL. Jahrg. 11. Heft. (November 1913.)
Der Spiritismus und seine Probleme.
Von Elisabet Zanzinger (München).*)
Keine Weltanschauung vermag auf die Dauer rein
theoretisch zu bleiben. Sei sie nun auf materialistischer oder
auf religiös-philosophischer Grundlage basierend, sie findet
ihre Umsetzung in die Praxis. Und deshalb dürfte es auch
für den Denkenden von großer Wichtigkeit erscheinen,
Umschau zu halten, nach welcher Richtung sich heute die
Kulturbewegung zu wenden anschickt, welche Geistesströmung
Aussicht besitzt, zur Herrschaft zu gelangen. Um
so mehr aber muß das bei einer Lebensauffassung der Fall
sein, die nicht nur dem Verstände ihres Vertreters philosophisch
gehobene Stützpunkte gewährt, sondern auch
dessen Gemüt und Herz Beruhigung und Befriedigung zu
verleihen vermag.
Dank dieses Umstand es fristet nun unter den verschiedenen
, entweder auf strengem Dogma-Glauben oder
auf Materialismus beruhenden, das Heil von der Naturwissenschaft
erwartenden Lebensanschauungen der Neuzeit
der Spiritismus sein bald mehr, bald weniger befehdetes
Dasein, so den Streit der Meinungen erbittertster Gegner
und enthusiastischer Anhänger lebhaft entflammend und
rege erhaltend, da ein überzeugender Beweis unter bestimmten
geforderten Bedingungen dem hartnäckigen
Zweifler wohl unmöglich zu erbringen sein
dürfte, weil wir eben heute gewisse Entstehungsbedingungen
noch zu wenig erforscht haben,
*) Die Verfasserin schreibt uns zu dieser Abhandlung u. a :
„Seit ca. 12 Jahren beschäftige ich mich mit dein noch Immer
strittigen Gebiet des Spiritismus sowohl experimentell, als auch
literarisch. Mein Aufsatz dürfte die Leser überzeugen, daß die sogen,
spiritistischen Phänomene auf unleugbaren Tatsachen beruhen
bezw. beruhen können, und zugleich einige Aufklärung darüber
bringen, auf welche Weise die fraglichen Erscheinungen zustande
kommen. Daß die Entstehungsursaehen verschiedener Art sein
können, wird darin erläutert, ein kurzer Rückblick auf die geschichtliche
Entwicklung des Spiritismus geworfen, Vertreter und
Gegner erwähnt und möglichst anschaulich dargestellt, wie die
Vorgänge logisch zu begründen sind. Meine Auffassung deckt sich
in der Hauptsache mit der theosophiseben, wobei ich alle einigermaßen
berechtigt erscheinenden Einwände der Skeptiker zu widerlegen
suche und so eine restlose Lösung der kritischen Frage zu
bringen hoffe, die auch Tor den strengsten Wissenschaftlern besteben
oder doch Verständnis finden dürfte Ich bemerke noch, daß em von
mir schon vor einigen Jahren im „Türmer" veröffentlichter Aufsatz
über „Göthes Weltanschauung und der Okkultismus" viel Anklang
gefunden hat" Wir hoffen, daß Dasselbe auch bei unsern Lesern
der Fall sein wird. — ßed.
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