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Baschig: Schlaf, Träume und Bewußtsein.
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rend des Schlafes fortwährend lauernd auf dem „Qui vive"
liegt und daß zur Bestätigung seines Vorhandenseins gar
keine „Hypothese" erforderlich ist. Was sollte auch sonst
daraus geworden sein? Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten
entgegengesetzter Art. Die eine: das Bewußtsein
wäre ganz „tot", dann würde es eben nicht wieder aufleben
; es gäbe kein Erwachen; es wäre absolut Schlaf
= Tod zu setzen. Oder die andere Möglichkeit: das Bewußtsein
verließe den Organismus nur während der
Schlafenszeit und ginge wie ein körperloser Geist sonstwo,
vielleicht nicht nur in der Schlafkammer spazieren, um auf
Kommando, d. h. wenn es dem bewußtseinslosen Schläfer
einfiele, zu erwachen, wieder „zur Stelle" zu sein, d. h.
wieder ins organische Zentrum hineinzukriechen; das
wären zwei „Hypothesen* und was für lächerliche
! —
Der Weg der Impulse zu den Traumvorstellungen ist
aus der Innenwelt des Körpers, d. h. aus den Gliedern und
Organen des Leibes, durch die Blut- nnd Nervenbahnen
nach dem psychischen Zentrum zu, also der umgekehrte
Weg, den alle Willensimpulse vom Zentrum nach der
Peripherie einschlagen. Der Weg der Sinneswahrnehmung
aber und der dadurch sich bildenden Vorstellungen führt
von der Außenwelt her durch die Sinnesorgane und Sinnesnerven
— Sehnerv, Hörnerv usw. — zu demselben
psychischen Zentrum. So wird offenbar, daß auf dieser
entgegengesetzten Entstehung von entgegengesetzten
Bahnen her auch der Gegensatz
besteht zwischen der Klarheit und positiven Realität der
Sinnes Vorstellungen einerseits und dem nebelhaften,
seifenblasenartigen Wesen der Traum Vorstellungen
andererseits. Und Leute, die je auf die Idee kamen, jenes
auf der Wechselwirkung der Sinne mit der Außenwelt beruhende
reale Leben des Tages nur zu vergleichen,
geschweige denn gar zu identifizieren mit Traumvorstellungen
, kurz zu behaupten, allesLebensei nur ein Traum,
müssen nicht nur mit offenen Augen geschlafen haben,
sondern mit offenen Ohren taub, mit schmeckender Zunge
und fühlender Brust stumpfsinnig gewesen sein. —
Ein Uberblick über das ganze Leben von der Wiege
bis zum Grabe gestaltet sich mithin, wie folgt: Bei dem
„glücklichen Säugling", dem „ein unendlicher Raum noch
die Wiege" ist, überwiegt überhaupt noch das vegetative
Leben in dem Grade, daß die ersten Lebensjahre mehr
Schlaf als psychisch gewecktes Leben vorstellen;
diese Zeit braucht der kindliche Organismus, um sich
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