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678 Psychische Studien. XL. Jahrg. 11. Heft. (November 1913.)
unter dem Drange einer Not, dadurch hervorgerufen, daß sein Bewußtsein
mit dem Stoffe des Wissens überfüllt wird, so daß nach
dem Gesetz, das die Menge des sich aufdrängenden Wissens ordnet,
ein unbezwingliches Verlangen entsteht. — Fassen wir die Ergebnisse
der gründlichen, meisterhaft exakten Untersuchungen des Verfassers
kurz zusammen, so ergibt sich folgendes Bild: Für die Mathematik
ist der Begriff des Un vollendbaren gewonnen und die zentrale
Stellung der Mengenlehre über allen Zweifel erhoben worden. Für
die Physik sind mancherlei Probleme gestellt, z. B. das der Resultante
einer unendlichen Reihe von Kräften und des aligemeinen
Begriffs der Masse, sodann alle diejenigen, die sich aus dem Prinzip
der Stetigkeit, der homogenen Verteilung und der Strahlung aller
Zustandscharaktere ergeben; den Physikern insbesondere konnte gesagt
werden, daß die Frage der Stetigkeit durch kein Experiment
entschieden oder auch nur berührt werden kann. Verf. betont die
Gewißheit, daß es zugunsten einer diskontinuierlichen Erfüllung von
Raum und Zeit, welcher Art immer, es kein „experimentum crueis"
gibt, und leitet daraus das Recht ab, von den Physikern sowohl,
wie den Chemikern zu verlangen, daß sie ihre Begriffe von Atom,
Molekül, Quanten, Elektron usf. mit Beachtung obiger Prinzipien
als Akte, nicht als Dinge, als Grenz Übergänge, doch nicht als ein
Letztes definieren. Für die Biologie wurden jene unnützen Probleme
ausgeschaltet, die das Psychische durch physiko - chemische
Beziehungen exakt zum Ausdruck bringen wollen. Verf. hat dargetan
, dal die Physiognomie eines psychischen Vorgangs, d. h. was
an einem solchen irgendwie wahrnehmbar ist, zur eindeutigen Charakterisierung
desselben nicht genügt; er hat damit den Weg gebahnt
, um zum Begriffe der objektiven Wahrscheinlichkeit zu gelangen
und Probleme zu stellen, deren Erforschung die Kenntnis
bereichert. Für die Philosophie endlich ist das gewonnen, daß
unser Begreifen der Welt in einen geründeten und architektonisch
begründeten Bau aufgeführt ist. Damit ist ein Ziel, ein Ruhepunkt
auf der Wanderung erreicht; das zuerst als gewiß nur Empfundene
ist nun bestätigt und begriffen. Noch isfc die Theorie des
Kampfes auszuführen. Das Problem ist gestellt, seine Anwendung
gezeigt, die Lösung wenigstens angedeutet. Eine „zweite Fahrt
«oll uns gar seltsame Länder aufschließen, aber auch in vertraute
Gebiete führen—Kunst, Sittlichkeit, das Recht, das soziale Leben*.
Wir wünschen dem geistvollen Verfasser, dessen Werk immerhin
philosophisch und mathematisch geschulte Leser voraussetzt, viel
Glück und dankbare selbständig denkende Begleiter zu seinen
weiteren geistigen Orientierungsfahrten. Fritz Frei mar.
Carl Hilm, Satan. Verlag „Lumen", Wien-Leipzig 1908. 256 S. Preis
6 Kr.
Der Verfasser dieses überaus gedankentiefen Werkes, dessen
Pseudonym den Namen eines hochgestellten österreichischen Offiziers
a. D. deckt, behandelt als der über alle Parteien stehende
Dichter - Philosoph in formvollendeter, hochpoetischer Sprache die
ernstesten Probleme der Gegenwart, voran die Frauen- und die
Arbeiterfrage. „Satan*, zu deutsch der „Andere* oder der Widersacher
, ist das uralte Sinnbild der Außenwelt, der Natur, desjenigen
, was sich dem „Einen*4, dem Wahrnehmenden, also unserem
Geiste, als das „Andere", das Wahrgenommene gegenüberstellt. Die
Scharen Satans sind somit die Naturerscheinungen und, als wirkende
sogenannte Naturkräfte oder - Mächte, die Formgewalten des Universums
(Demiurgen, Dämonen). Auch in der Bibel ist ja Satan
keineswegs „der Böse*; steht er doch an Gottes Thron, dessen Sohn
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