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Tiedeinann: Merkwürdige Hundegeschichten. 721
der Absicht, den Schäferhund durch blinden Lärm von dem
Besucher fortzulocken. Er erreicht seinen Zweck jedesmal,
und wenn er den kleinen Kameraden glücklich draußen
hat, kehrt er schnell um und drängt sich nun stürmisch an
den Besucher heran/ —
Verschiedene Einsender erzählen rührende Züge von
der Wachsamkeit und Umsicht der Hunde in Augenblicken
der Gefahr. „Ich besitze ein Wachtelhündchen namens
„Follette*, so berichtet einer, „das von einer unbeschreiblichen
Zuneigung zu unserem zweijährigen Söhnchen erfüllt
ist und nicht von seiner Seite weichen will. Eines Tages
war ich im Garten beschäftigt, als „Follette" angelaufen
kam und unter aufgeregtem Bellen um mich herumsprang.
Ich dachte mir anfangs nichts dabei und fuhr in meiner
Arbeit fort. Da zerrte das kleine Tier mit den Zähnen an
meinem Mantel und sah mich mit einem flehenden Ausdruck
in den Augen an, den ich nicht anders denn als menschlich
bezeichnen kann. Nun ward ich stutzig, folgte eilends
dem Hund, der mir bellend voranlief, und ließ mich von
ihm über die Wiese nach dem Flusse führen. Dort sah
ich zu meiner Bestürzung unser Kind am steilen Uferrand
kauern und jeden Augenblick in Gefahr, ins Wasser zu
stürzen. Der Kleine hatte sich aus dem Kinderzimmer
davongeschlichen, und „Follette* war mit ihren schwachen
Kräften nicht imstande, ihn von dem gefährlichen Ufer
fortzubringen. Aber das Tier erkannte, daß Hilfe dringend
nötig war, und ohne seine Aufmerksamkeit hätten wir
unseren kleinen Jungen vielleicht verloren.* —
Es werden ferner verschiedene Beispiele vom Zahlen-
und Zeitsinn der Hunde aufgeführt. Ein Ilirtenhund, der
vierzehn Kühe unter sich hatte und die großen Wiederkäuer
mit wahrhaft souveräner Herablassung behandelte,
merkte es sofort, wenn eine Kuh an der vollen Zahl fehlte.
Ließ sein Herr einmal, um ihn auf die Probe zu stellen,
absichtlich nur dreizehn Kühe auf die Weide, so ruhte der
Hund nicht eher, als bis er die vierzehnte gefunden hatte.
Ein anderer Hund hatte die Gewohnheit, sich jeden Sonnabend
, am Schlachttag, beim Schlächter eine Portion
Fleischabfälle zu holen, und er kannte diesen Tag so genau
, daß er sich niemals irrte und immer nur am Sonnabend
bei dem Schlächter vorsprach. — Zum Schluß noch ein
drolliges, durch photographisehe Aufnahmen bezeugtes Bei-
spiel von dem iSachahmungstalent eines kleinen Hundes.
Dieser war zusammen mit einer Katze aufgezogen worden,
und die umstäudliche Art und Weise, wie Mieze sich zu
schniegeln und zu schlecken pflegte, hat offenbar großen
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