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Kurze Notizen
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Vogel, einen Fisch, eine Maus; auf den archäologischen
Darstellungen, die der Redner im Lichtbilde vorführte, war
die Seele sogar mehrere Male als Ziegenbock dargestellt.
Unser heutiger Storchglaube dürfte auf diese Wurzel
zurückzuführen sein. Aus dieser Auffassung heraus entstanden
ferner die Mischfiguren, die abnormen Fabeltiere
des Altertums. In Rußland ist noch heutzutage die Anschauung
, das Mißgestaltete berge einen Dämon, so verbreitet
, daß das russische Strafgesetzbuch einen besonderen
Schutzparagraphen für abnorm gebildete Menschen enthält.
Für außerordentlich heilkräftig hielt man in der ältesten
Zeit alles, was der Mensch von sich gab, und zwar nicht
nur die Ausdünstungen, den Atem, den Speichel, den Kot,
sondern auch die Sprache. Übrigens zeigt die älteste
Medizin auch manche ganz treffende Beobachtung. Während
das ganze Mittelalter hindurch und noch bis in die
neuere Zeit hinein die Flöhe im Volksglauben als die Verbreiter
der Pest galten, hatte man schon im grauesten
Altertum die Mäuse als Pestträger im Verdacht. So wurde
bei den Griechen der pestpfeilentsendende Apollon hier und
da als Maus [bezw. als „Mäusetöter"— Red,] dargestellt. Die
Krankheit, mit anderen \Vorten den bösen Dämon, suchte man
entweder durch Opferzusagen zum Verlassen des Körpers zu
bewegen oder durch einen stärkeren Dämon zu vertreiben.
Diesen stärkeren Geist glaubte man in den verschiedensten
Mitteln zu finden, in Mitteln, denen man abergläubischerWeise
zum Teil noch heutzutage gewisse Heilwirkungen zuschreibt.
So wandte man schon in den ältesten Zeiten das Bibergeil
gegen Frauenleiden an (noch heute bei den Zigeunefn);
in Sachsen galt als unfehlbares Mittel gegen Epilepsie ein
Hornspan vom Bock oder Hirsch. Die Luchskralle, der
Pferdezahn, der Natterkopf, die Hasenpfote waren gleichfalls
hochgeschätzt. Am verbreitetsten war aber der durchbohrte
Hechtwirbel, der bis in die paläolithische Zeit nachgewiesen
ist. Auch durchbohrte Knochenscheiben vom
menschlischen Oberschenkel hat man gefunden. Das dürfte
mit dem verbreiteten Aberglauben von der Möglichkeit von
Geburten aus dem Oberschenkel zusammenhängen. Auch
durch Lärminstrumente suchte man den Krankheitsdämon
zu vertreiben. Ein anderes Mittel war, ihn in irgend einen
anderen Körper zu bannen, z. B. Frauenleiden jeder Art
in eine Kröte. Oder man weiht dem Dämon eine Nachbildung
des kranken Gliedes und sucht die Krankheit so
in den nachgebildeten Körperteil zu bannen. Die Früchte
und das Laub der Eiche waren schon zur Pfahlbauzeit
geschätzt als Mittel gegen Ruhr und Tiergifte, die Eber-
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