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40 Psychische Studien. XLI. Jahrgang. 1. Heft. (Januar 1914.)
jede Wissenschaft mit so und sovielen Voraussetzungen
rechnen, wenn sie überhaupt bestehen wolle, in erster Linie
natürlich die historischen Wissenschaften, die nicht in der
günstigen Lage sind, etwa wie die Chemie ihre Resultate
in jedem Augenblicke nachzuprüfen. .Nehmen wir das Beispiel
an, daß ein antiker Autor eine Schlacht mitmacht
und daraus eine Szene berichtet, die allein in seinem Geschichtswerk
der Nachwelt überliefert ist. Wir kennen ihn
im übrigen als scharfen und gewissenhaften Beobachter, der
sich nur an die Wahrheit hält, und nehmen daher auch in
diesem Falle an, daß seinem Berichte völlig Glauben zu
schenken ist, vorausgesetzt, daß die Möglichkeit seiner Beobachtung
nicht anders wie sonst war. Wie aber, wenn er
in jenem Augenblick, etwa in der Aufregung der Sehlacht,
eine Halluzination gehabt hätte, sodaß das, was er von jener
Szene berichtet, nur seiner krankhaften Erregung zuzuschreiben
war? Diese Möglichkeit ist natürlich nicht
schlechterdings von der Hand zu weisen, aber die Wissenschaft
kann damit nicht rechnen, da sie sonst nie zu einem
sicheren Ergebnisse gelangen würde. Aber sie hat dazu
auch ein anderes Recht: dieser Fall wird so verschwindend
selten vorkommen, daß die Sicherheit ihrer Rechnung dadurch
kaum berührt wird: wenn in tausend Situationen
dieser Fall noch nicht einmal eintritt, so verliert doch die
Rechnung für den einzelnen Fall so wenig an Wert, daß
man getrost eine solche Ausnahme außer Acht lassen kann.
Es muß also jeder Wissenschaft zugestanden werden,
daß sie von vornherein mit gewissen Voraussetzungen
rechnet, sofern dadurch ihre Resultate nur in geringem
Maße berührt werden. Wie verhält sich das aber in diesem
Falle mit unserer Grenzwissenschaft? ist z. B. die Annahme,
daß die Ursache eines Phänomens, das sowohl der normalen
als der transzendentalen Erklärung zugänglich ist, innerhalb
des Natürlichen gesucht werden müsse, ebenfalls eine solche,
daß durch diese Voraussetzung die Sicherheit des Resultates so
gut wie nicht geändert wird? Jeder wird zugeben müssen, daß
hier gerade das Gegenteil der Fall ist: die Frage, welche hier
im Sinne der natürlichen Erklärung stillschweichend als
gelöst betrachtet wird, ist die Frage des Okkultismus xar
i%oxhv> h. wer sie in diesem Sinne als gelöst annimmt,
nimmt a priori die ganze Lösung vorweg, wie aus dem
Vorhergehenden zu ersehen war.
Es hieße also doch die Lösung der Frage geradezu
vorwegnehmen, um die es sich hier in erster Linie handelt,
wenn wir auf diesem Gebiete eine normale Erklärung überall
da annehmen wollten, wo sie nur irgendwie möglich ist, bezw.
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