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Schottelius: Ein menschliches Bätsei.
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Ein menschliches Rätsel.
Gedankenleser, Wahrsager und Geisterseher hat es
schon immer gegeben. Aber das waren meist Leute, die
nur den Aberglauben und die Dummheit ihrer Mitmenschen
geschickt auszunutzen verstanden, bei einer wissenschaftlichen
Nachprüfung ihrer Kunst haben sie stets versagt
und konnten als Schwindler entlarvt werden.*) Jetzt aber ist
das bisher Unmögliche wahr geworden, es gibt einen Menschen
, der wirklich hellsehen kann. Eine ganze Anzahl
Gutachten von Ärzten, die sie als vereidigte Sachverständige
abgegeben haben, sowie streng wissenschaftliche Untersuchungen
, die der Hygieniker der Universität Freiburg,
Prof. Dr. Max Schottelius angestellt hat, schließen
jeden Zweifel aus. Der zuletzt genannte Gelehrte hat
nach längerem Zögern jetzt im Dezemberheft des „Kosmos
* (Stuttgart) sein interessantes Material der Öffentlichkeit
bekanntgegeben. Es ist vorauszusehen, daß diese
Abhandlung in der Wissenschaft wie in der breiten Öffentlichkeit
großes Aufseben erregen wird; wir greifen daher
aus den Angaben von Prof. Schottelius kurz das
Folgende heraus:
„Es handelt sich um einen Menschen, der — so unglaublich
das klingen mag — imstande ist, den ihm unbekannten
Inhalt zusammengefalteter beschriebener Zettel, die
in der fest geschlossenen Hand des Beobachters gehalten
werden, ohne weiteres zu lesen, als wenn der Inhalt offer
vor seinem körperlichen Auge läge. Ludwig H., Israelit,
ist jetzt 40 Jahre alt und hat eine recht bewegte Vergangenheit
. Als dreijähriges Kind zeigte er eine auffallende
Begabung für Rechnen, konnte mit fünfstelligen Zahlen im
Kopf arbeiten. Schon früh kam er in eine kaufmännische
Lehre, wanderte aber bald nach Amerika aus. Hier „entdeckte
" er seine „Gabe*, wurde Gedankenleser und verdiente
damit viel Geld, das er aber im Spiel und in lockerer
Gesellschaft immer wieder sehr bald durchbrachte.
Im September 1912 kam H. nach Deutschland und
wohnte vom 20. September bis zum 10. Oktober in Freiburg
i. B. Dabei bot sich mir Gelegeuheit, persönlich mit
ihm bekannt zu werden und seine merkwürdige Eigenschaft
, „seine Gabe*, wie er sie nennt, zu untersuchen.*
*) Die Verallgemeinerung in dieser Einsendung scheint uns
doch etwas zu weit zu g«hen Wir verweisen z. B. auf den lichtvollen
BeitJag von Dr. v. Bchrenck-Notzing über „Räumliches Hell-
sehen" im vor. Jahrg., Aprilheft, S. 1^3 (Prof. Eeese). - Eed.
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