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88 Psychische Studien. XLI. Jahrgang. 2. Heft. (Februar 1914.)
damit behaftet sind und zwar immer zu einem bestimmten
Prozentsatz. Wie verhält sich das aber mit den transzendenten
Phänomenen? Die Ursache zu deren größerer und
geringerer Häufigkeit läge dann, wie gesagt, natürlich im
Transzendenten, also auf einem Gebiete, das der menschlichen
Forschung nicht zugänglich ist, d. h. es ist also
unmöglich, aus einer beliebig angenommenen Zeit sichere
Schlüsse auf die Häufigkeit der wirklich transzendenten
Phänomene schlechthin zu machen. Damit ist also gesagt,
daß sich für den transzendentalen Teil unserer Rechnung
keineswegs zu einer Sicherung kommen läßt, und dazu
kommt noch etwas Anderes: wie gelingt es überhaupt festzustellen
, ob der Ursprung eines solchen Phänomens (z. B.
der Vision) innerhalb der menschlichen Psyche zu suchen
ist oder außerhalb ? Ein Teil der Phänomene läßt sich
auch jetzt seinem Ursprünge nach sicher bestimmen,
bezw. wenigstens mit annähernder Sicherheit; aber damit
sind doch noch nicht alle erklärt: es verbleiben alle die
Fälle, wo sich die normale und die supranormale Erklärungsweise
gleichwertig gegenüberstehen und die, wie wir sehen,
durchaus nicht durch eine voreilige Annahme gelöst sind;
diese aber sind natürlich hier abzurechnen.
Somit leidet auch dieser Versuch, unsere Frage auf
empirischem Wege zu entscheiden, an zwei großen
Mängeln. Dazu kommt aber noch ein dritter, der schon
angedeutet worden ist und der sich freilich nicht vermeiden
läßt: das so gefundene Resultat, das nach zwei Seiten hin
schon an sich ganz ungenau wäre, würde ja erst für die
Gesamtsumme der Erscheinungen zu gelten haben, nicht
aber für jeden einzelnen Fall; die Möglichkeit für diesen
ließe sich natürlich auch hier nur im Verhältnis zu der
Gesamtsumme berechnen, ohne daß wir in dem einzelnen
Falle zu einer absoluten Sicherheit kommen können. Rechnen
wir aber die beiden vorhin erwähnten Mängel hinzu, so ist
ersichtlich, daß die so entstehende Rechnung mehr als unsicher
wäre und für den Einzelfall kaum zu einem irgendwie
nennenswerten Resultat führen dürfte.
Es läßt sich also durchaus nicht behaupten, daß von
„vornherein* in einem bestimmten Fall das Eingreifen einer
transzendenten Welt in die unsere wahrscheinlicher sei als
die Erklärung, daß sich der betreffende Vorgang in der
Psyche des Betreffenden abgespielt habe. Nur die Erwägung
von Fall zu Fall nach der größeren oder geringeren
Wahrscheinlichkeit kann hier eine Entscheidung bringen.
Stehen sich aber die normale und die supranormale Möglichkeit
als gleichwertig gegenüber, so ist eben eine Ent-
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