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Hämg: Zur Methode der Traiiszendentalforschung. 91
mäßigen Aufwand von Scharfsinn gekostet haben würde
und die Berichterstatter von vornherein auf jeden nur
möglichen Einwand gefaßt sein mußten. Dabei bleibt auch
unerklärt, warum denn diebetreffenden (der jeweilige Pfarrer
und die weibliche Person) die Halluzination zu der gleichen
Zeit gehabt haben, solltet, wie doch aus dem Berichte
hervorzugehen scheint.
Wir haben also von den sogenannten normalen Erklärungen
nur zwei mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit; desto näher
liegt es daher auf der anderen Seite, in diesem Falle wirklich
die Ursache im Transzendenten zu suchen, welcher Art sie
auch sein mag. Damit fällt also auch die Frage weg, ob
es nicht etwa in diesem Falle Faktoren gegeben habe, die
uns nötigen, bei der normalen Erklärung zu bleiben, da
Fall (}.>), der dem etwa entspräche, wie wir sahen, wenig
Wahrscheinlichkeit für sich hat.
Betrachten wir den zweiten Fall! Es ist natürlich von
vornherein anzunehmen, daß jenes Bild, das die Betreffende
an der Wand projiziert sah, ein vorher perzipiertes war,
also etwa von A. Dürer oder ein ähnliches. Die normale
Erklärung wird natürlich lauten, daß wir es in diesem Falle
mit Kryptomnesie zu tun haben. Das betreffende Bild war
hiernach in dem Unterbewußtsein der Betreffenden vorhanden
, und zwar als das erhabenste Beispiel, das wir in \
der Geschichte vom Tode- einer Persönlichkeit kennen;
infolge der im Unterbewußtsein latenten Besorgnis, daß die
Krankheit des Gatten mit dem Tode endigen könne, trat
das Bild über die Schwelle des Bewußtseins und projizierte
sich an die gegenüberliegende Wand, so daß die betreffende
Vision entstand. Anders die transzendentale Erklärung:
das Bild war natürlich in der Psyche vorhanden; durch
eine der Betreffenden wohlwollende Intelligenz, die sie auf
den bevorstehenden Tod vorbereiten wollte, wurde diese
Vorstellung veranlaßt, über die Schwelle des Bewußtseins
zu treten, was die Ursache zu der betreffenden Vision
wurde. Derartige Vorgänge, wird man von dieser Seite —
etwa von der theosophischen — hinzufügen, sind in der an-
^chlägigen Literatur nicht selten; dazu steht fest, daß die
Betreffende diese Vision nie anders als in diesem Sinne
aufgefaßt hat, wobei freilich vorausgesetzt werden muß, daß
sie von Unterbewußtsein etc. keine Ahnung hatte.
Wie wird also die unbefangene Erklärung dieses Falles
aussehen ? Es wird zunächst zuzugeben sein, daß die normale
Erklärung in diesem Falle keine Schwierigkeiten bietet,
sowohl diejenige, die das Normale heranzieht, wenn es nur
irgend möglich ist, als auch diejenige, die diese Erklärung
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