http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1914/0147
140 Psychische Studien. XLL Jahrgang. 3. Heft. (März 1914.)
120 Jahre blieb nun dieses Memento mori an seinem Platz
unter der Kanzel, durch Glas und Rahmen gedeckt. Da
kam die Zeit der Aufklärung und mit ihr ein Erlaß der
Regierung des Kaisers Franz Joseph, daß die Kapelle zu
sperren sei. Der damalige Pfarrer von Thaur, Ignaz
Brock, bemerkte 1784 in seinem Informationsbuch zu
dieser Großtat der Regierung nicht ohne Ironie: „Da ob-
gedachtes Gotteshaus aus allerhöchster Verordnung als entbehrlich
und zur Seelsorge überflüssig, gäLzlich mußte gesperrt
werden und dieses Bild [d. h. die Reliquie] in keiner
anderen Kirche in unseren so hell leuchtenden Zeiten sich
nicht mehr durfte blicken lassen, so habe selbes für mich
und meinen Nachfolger zur Erweckung, wo nicht aufgeklärter
, so doch heilsamer Gedanken in meinem Zimmer
indessen übersetzen wollen." —
Schließlich möchte ich noch einen Bericht aus einer
Schrift anführen, die wohl den meisten Lesern der „Psych.
Studien*' unbekannt geblieben sein dürfte*) und der es
doch verdient, einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu
werden. Es handelt sich um das „verbrannte Corporate
(d. h. das Linnertuch, auf dem während der Messe Hostie
und Kelch ruhen) von Czenstoehau", dem bekannten polnischen
Wallfahrtsort. Der Bericht erhält seinen Wert
durch die volle Namenszeiehnung des betreffenden Geistlichen
. Er lautet:
„Ich war mit zwei Amtsbrüdern zur Wallfahrt in
Czenstoehau. Ein Klosterbruder, der die Sakristei unter
sich hat, führte uns, die Merkwürdigkeiten zeigend, auch
in ein Nebengewölbe, und aus besonderer Freundlichkeit
zeigte er uns dort mit dem Bemerken, daß dies bloß ausnahmsweise
geschehe, unter anderem einen viereckigen
Blechkasten mit Deckel: er hob diesen ab, und wir sahen
darin ein Korporale liegen, auf welchem eine menschliche
Hand, die glühend gewesen sein muß, aufgedrückt war.
Die oberen Leinwandlagen waren ganz durchgebrannt, die
unteren immer schwächer gebräunt; in den Vertiefungen
zwischen den einzelnen Gliedern waren die Leinwandfäden
erhalten, da, wo die Muskeln sich verstärken, war ganz
sichtbar die Verbrennung stärker und nahm allmählich
nach den Seiten zu wieder ab. Der Hergang war folgender
: Zwei Klostergeistliche (des Pauliner Ordens) hatten
sich vor vielen Jahren das Versprechen gegeben, daß der
zuerst Gestorbene dem anderen ein Zeichen geben sollte
*) Keller: „Armenseelengeschiehten", Mainz, Verlag Kirchheim
, 1891.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1914/0147