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Kaindl: Eine Londoner Gespenstergeschichte.
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nahe derselbe war, doch nicht erreichen; auch sein .Anruf
war erfolglos. Das Fuhrwerk wich vom Wege ab; er ging
ihm aber dennoch nach. Es stand endlich still; er sah Gebäude
und Lichter; kleine Burschen mit Laternen erschienen
und vier alte Kapuziner mit langen Barten und
gespensterhaftem Ansehen stiegen aus. Auch ihnen folgend,
gelangte er durch Tor, Mauerwerk und Brücke hin in ein
prächtig erleuchtetes Gemach, wo aufgetragen, getafelt und
getrunken wurde. Alles war jedoch so unheimlich, toten-
haft und schauerlich, daß dem Manne überaus bange wurde
und er fortzukommen trachtete. Mit Hilfe eines ihm
vorausschwebenden Lichtes gelangte er, von einigen Ge-
sichtsverletzungen, die von einem Griffe ins Gesicht herzurühren
schienen, abgesehen, wieder glücklich ins Freie und
sah bei seinem Fortgange das Ardecker Schloß, wo also
der Vorgang stattgefunden haben mußte. — Die Beschreibung
, welche Seipel von dem in der Ruine Wahrgenommenen
gab, zeichnet sich durch erstaunliche Bestimmtheit
und ausmalende Genauigkeit rücksichtlich aller Gegenstände
und Umstände aus. — Diese Räume und Gegenstände, so
klar und bestimmt mit ihren bis ins Besonderste hinein
wahrgenommenen und beschriebenen Beschaffenheiten sind
höchst wahrscheinlich einmal an dem Orte in historischer
Wahrheit und Wirklichkeit vorhanden gewesen. — Es
bleibt in derartigen Fällen eine schwer zu entscheidende
Frage, ob die Sache, trotz des Anscheins von Äußerlichkeit
, den sie hatte, bloß im Innern der in die Vergangen-
heit' zurückblickenden Person vor sich, gegangen, fdef ob
etwas gegenständlich Wahres und Wirkliches dabei anzunehmen
sei.
Die mit der Sagenwelt unbekannten Erklärer fassen
ein Objekt, wie das in Rede stehende, immer nur in seiner
Vereinzelung auf. Dem Kundigen hingegen bieten sich
Analogien und Zusammenhänge, die nicht unbeachtet
bleiben dürfen, seien sie auch nur mystischer Art.44 (G. Fr.
Daumer: „Das Reich des Wundersamen und Geheimnisvollen
% S. 110.)
Erscheinungen, wie die hier angeführten, sind offenbar als
Träume eines Ekstatikers aufzufassen, die, wie Daumer sagt,
nicht, wie jene des Nichtekstatikers, so in das unsichtbare
Innere des Träumenden eingeschlossen sind, sondern in
welchen, diesem Zustande zufolge, die Phantasie eine weit
realere und objektivere Gestalt erhält, so daß ihre Gebilde
als objektive Realitäten von mehr oder weniger Substan-
zialität auch von anderen Menschen wahrgenommen werden
können. In beiden Fällen handelt es sich höchst wahr-
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