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Literaturbericht
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sich um ein 16 jähriges Mädchen. Auf der Schule hatte es
eine schöne Sopranstimme, und alsdann bekam es eine ausgesprochene
Männerstimme, die sich nach dem Ausspruch
der Ärzte nie mehr ändern wird. Wenn man die junge
Dame sprechen hört, ohne sie zu sehen, glaubt man bestimmt
, daß ein Mann mit einem tiefen echen Basse sprach.
Bei der Spiegeluntersuchung staunte man über die Größe
der Stimmbänder, die bedeutend breiter und länger waren,
als man sie bei gleichaltrigen Mädchen findet. Auch äußerlich
erscheint bei ihr der Kehlkopf größer als sonst. Die
Tonskala überraschte durch einen gewaltigen Umfang der
Stimme; er betrug fast vier Oktaven. Sie sprach nur in
tiefem Baß und niemals mit hoher Stimme.
Liter a turb er i cht.
Vachste'iend besprochene Werke sind zu Originalpreisen durch die Buchhandlung
von Oswald Mutze, Leipzig, Lindenstraße 4, zu beziehen
Bücherbesprechung:.
Agrippa von Nettesheim: Die Eitelkeit und Unsicherheit der Wissenschaften
und die Verteidigungsschrift, herausgegeben von Fritz Mauthner.
1913. München, bei Georg Müller (2 Bände 8°. 376 u. 300 Seiten.
Preis 10 M., geb. 15 M.).
Nicht nur von der Unsicherheit der Wissenschaften oder des
menschlichen Wissens überhaupt, sondern von den Mängeln und
Irrwegen der gesamten menschlichen Kultur handelt dieses merkwürdige
, lange vergessene Buch (das übrigens auf den jugendlichen
Goethe nicht ohne Einfluü gewesen ist) in 102, teilweise doch recht
kurzen Kapiteln, die in ziemlich bunter Beihenfolge erscheinen:
von Grammatik und Poesie geht es zu Mathematik und Musik; die
Baukunst wird flüchtig, die Künste des Wahrsagens, Geister- und
Teufelbeschwörens und die Kabbala (doch nur als Temura und
Notarikonj*) ausführlicher besprochen; dann wird gehandelt von der
Seele, von der Eeligion, den Kirchen und ihren Gebräuchen, von
der Hurenwirtschaft, von* bürgerlicher und fürstlicher Haushaltung,
von den verschiedenen Gewerben und Ständen, von Medizin und
Alchimie, von Becht und Gesetz, von Auslegung der heiligen Schrift,
von den Meistern der Wissenschaft, — und den Schluß bildet ein
Lob des Esels. Im Gegensatz zu dem hier zur Schau getragenen
Skeptizismus steht des „Erzcharlatans" Werk „De occulta philo-
sophia", veröffentlicht in Köln 1510, und einem Bewunderer dieses
Werks, dem Genueser Kaufmann Fornari, ist das ungefähr 15 Jahre
später entstandene Buch „De \anitate et incertitudine scientiarum"
*) Temura: Vertauscbung der Buchstaben eines Worts, Notarikon:
Erweiterung der einzelnen Buchstaben zu Wörtern, und Gematria: Deutung
der Buchstaben nach ihrem Zahlenwerte, sind „praktische1* Künsteleien, die
mit der „theoretischen" Kabbala, der sonderbar verschnörkelten Emanationslehre
, nicht unmittelbar zusammenhängen. W.
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