http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1914/0218
Antrittsrede von Prof. Dr. Heinrich Bergson. 211
dieser Frage näher treten, welche bekanntlich einen Gegenstand
Ihrer Studien selbst ausmacht, möchte ich noch mit
einigen Worten auf die Ihrerseits verfolgte Methode eingehen
, jene Methode, die mir gewißlich darnach angetan
erscheint, daß sie die meisten Wissenschaftler vor den
Kopf stößt.
Nichts kommt nämlich dem Gelehrten von Beruf unangenehmer
vor, als wenn er auf eine ähnliche Wissenschaft,
wie die seinige, eine Methode angewandt sieht, die gewöhnlich
für ganz andersartige Gegenstände aufgespart wird.
Er verhält sich solchem Verfahren gegenüber wie der Arbeiter
zu seinem Werkzeug. So hat William James, wenn
ich nicht irre, den Unterschied zwischen dem Fachmanne
und Dilettanten darin erblickt, daß letzteren nur das Resultat
interessiert, das er gewinnt, wohingegen ersterem auch die
Art und Weise un/die Umstände ^n Bedeutung sind wie
er es erhalten hat. Nun sind die Phänomene, mit. denen
Sie sich befassen, unstreitig derselben Art, wie diejenigen,
die den Gegenstand der Naturwissenschaften ausmachen,
während die Ihrerseits dabei verfolgte Untersuchungsmethode
, zu der Sie ja leider gezwungen sind, in keinerlei
Beziehung mit derjenigen der Naturwissenschaften steht.
Vorhin sagte ich, daß es sich um Phänomene, um Tatsachen
derselben Art handle. Damit will ich indes nur
behaupten, daß sie auch auf Gesetzen beruhen, die ihrerseits
an das Licht herangezogen werden können und daß
sie sich unbestimmt oft in Zeit und Raum zu wiederholen
vermögen. Es sind andere Tatsachen als jene, womit es
beispielsweise der Historiker zu tun hat. Die Geschichte
nimmt nicht wieder ihren Anfang von vorne: die Schlacht
von AusterKtz ist nur einmal geschlagen worden; sie wird
nicht wieder geliefert werden. Denn dieselben historischen
Bedingungen können nicht wieder vorkommen, und infolge
dessen kann sich auch ein Geschichts-Ereignis nicht wiederholen
. Und wie ein Gesetz notwendigerweise ausdrückt,
daß bei gewissen Ursachen, und zwar immer denselben, die
Wirkung auch immer dieselbe bleibt, so gründet sich die
sogenannte Geschichte aber nicht auf Gesetze, sondern auf
besondere Tatsachen, sowie auf nicht weniger besondere
Umstände, unter denen sie sich zugetragen haben. Die
einzige Frage, die hierbei in Betracht kommt, ist die, ob
ein Ereignis zu jenem bestimmten Zeitpunkt sich zugetragen,
dabei auf diesem bestimmten Eaume, und wie es sich zugetragen
habe.
Anders aber verhält es sich mit einer sogenannten
„wahrhaften Halluzination*, jener bekannten Erscheinung,
14*
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1914/0218