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Kaindl: Zur Frage der ßeinkarnation.
217
II. Abteilung.
Theoretisches und Kritisches.
Zur Frage der Reinkarnation.
Von Alois Kaindl (Linz a. D.).
„Zwiefaches Heimweh hält das Herz befangen,
Wenn wir am Rand des steilen Abgrunds stehn
Und in die Grabesnacht hinuntersehn
Mit trüben Augen, todeshohlen Wangen.
Das Erdenheimweh läßt uns trauern, bangen,
Daß Lust und Leid der Erde muß vergehn;
Das Himmelsheimweh fühlt's herüberwehn
Wie Morgenluft, daß wir uns fortverlangen.
Dies Doppelheimweh tönt im Lied der Schwäne,
Zusammenfließt in unsre letzte Träne
Ein leichtes Meiden und ein schweres Scheiden.
Vielleicht ist unser unerforschtes Ich
Vor scharfen Augen nur ein dunkler Strich,
In dem sich wunderbar zwei Welten schneiden."
L. Lenau's „Gedichte".
Die im Märzheft dieser Zeitschrift erschienene, von
Herrn Oberst Peter gelieferte Besprechung des unlängst
von Dr. Innocenzo Calderone herausgegebenen
Buches, dessen Inhalt das Resultat einer über obigen
Gegenstand angestellten Umfrage bildet, gibt uns ein Bild
von den in dieser Frage herrschenden bedeutenden Meinungsdifferenzen
.
Die Schwäche der zugunsten dieser Lehre von ihren
Anhängern vorgebrachten Gründe läßt vermuten, daß sie
weit eher der Ausfluß eines Gemütsbedjirfnisses ist, als das
Ergebnis ernster Gedankenarbeit. Es erscheint uns als ein
Glaube, zu dem vornehmlich jene hinneigen werden, deren
Erdensehnsucht noch nicht gestillt ist und bei welchen, um
mich der Ausdrücke des Dichters zu bedienen, das Erdenheimweh
das Himmelsheimweh überwiegt.
Aber nicht nur die Unzulänglichkeit ihrer Begründung
ist es, welche uns die Wahrheit dieser Lehre bezweifeln
läßt, sondern auch die Tatsache, daß sich die neue psychische
Forschung, obschon sich in ihr Gelehrte betätigen, die
zu ihren eifrigsten Verfechtern gehören, gänzlich außer
stände zeigt, hierfür Beweise beizubringen. Ist es schon
in hohem Grade beachtenswert, wenn ein psychischer For-
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