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224 Psychische Studien. XLL Jahrgang. 4. Heft. (April 1914.)
„Am Menschen ist's ein mir beliebter Zug,
Daß, wenn's Crenchiek ihm eine Wunde schlug,
Wenn ein Verdruß die Seele ihm erweicht,
Der Sinnenreiz viel freier ihn beschleicht;
Als wären alsdann seine Tugendwächter
— Die doch am Ende nur gedungene Fechter —
Vom Schmerz berauscht, verschlafen an der Pforte."
Da also für die ßeinkarnationslchre weder ethische, noch
wissenschaftliche Gründe sprechen, sie überdies ein tiefes
Gemüt nicht zu befriedigen vermag, so sieht man sich veranlaßt
, sie abzulehnen, und da sich in Lenau's „Faust* eine
hierzu vollkommen geeignete Stelle rindet, so mag es in
poetischer Form geschehen:
„Wenn du das helle, farbenfrohe
Böslein hitipfropfest in den Eichenspalt,
So wird es von der scharfen Lohe
Des Baumes schwarz u^d mißgestalt.
Kurz, Freund, laß mich damit in Frieden;
Mir dünkt die Welt ein enges Kerkerloch,
Und soll ich im Gefängnis noch
Der Blöde sein, mich anzuschmieden ?*
Christentum und Willensfreiheit.
Von einem katholischen Theologen.*)
Das erste Heft er. dieser Zeitschrift brachte auf S. 41 ff.
„Eine kritische Studie über die Willensfreiheit und das
Schicksal der Seele". Diese Studie fordert fast Zeile für
Zeile zum Widerspruch heraus. Wir begnügen uns, einen
Punkt herauszugreifen. Auf S. 46 ist der Satz zu lesen:
„Das Christentum stellt die Theorie auf, daß wir uns hier
auf Erden willkürlich für das Gute oder Böse entscheiden
sollen, um dann im anderen Leben ewigen Lohn oder Strafe
zu empfangen.* Der Ton liegt auf dem Wort „willkürlich
*. Denn sofort heißt es weiter: „Dieser Fall ist für
den strengen Denker allein schon deshalb ausgeschlossen,
weil Willkür der Forderung des Sittengesetzes widerspricht
/ Wir können dem Herrn Verfasser des Artikels
verraten, daß „dieser Fall für den strengen Denker* noch
*) Wir geben obiger Erwiderung eines hochangesehenen Philosophieprofessors
auf die Behauptungen des Herrn Dr. Th. EL um
so bereitwilliger Eaum, weil mehrere derselben auch von anderer
Seite Widerspruch fanden und wir selbst nicht in der Lage sind,
die Verantwortung für alle Artikel zu übernehmen, die wir im
Interesse einer freien Erörterung strittiger Probleme zum Abdruck
bringen. — JR-ed.
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