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262 Psychische Stadien. XLI. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1914.)
als wahre Fälle geben würde, so daß unser Professor recht
hätte. Diese Abstraktion aber besteht in der Vernachlässigung
dessen, was wesentlich ist — nämlich, daß das von
der Dame Wahrgenommene Gemälde durchaus in allen
Teilen mit einer Szene übereinstimmt, die sich in einer
großen Entfernung von ihr zutrug. Läßt sich verstehen,
daß ein Maler, der auf seiner Leinwand eine Episode aus
einer Schlacht festhält, indem er sich dabei vollständig
seiner Phantasie überläßt, dabei gut durch den bloßen Zufall
beraten sei, wenn es sich um die Darstellung eines
wirklichen Vorkommnisses handelt, wenn er bestimmte
Soldaten, eine bestimmte Waffengattung abbilden soll, die
da und da an einem gewissen Tage eine Schlacht geliefert
haben? Oder sollten die Soldaten just so gewesen sein,
wie es dem Maler beliebte? Doch gewiß nicht! Es ist
vollkommen unrichtig, wenn man im gegebenen Falle seine
Zuflucht zur Wahrscheinlichkeit nehmen will, nämlich aus
dem einfachen Grunde, weil eine Szene, wo bestimmte Personen
auch bestimmte Haltungen einnehmen, eine Einzelsache
in ihrer Art ist, und weil das Gesicht einer Person
selbst isoliert, bereits einzig in seiner Art und infolgedessen
auch jede Persönlichkeit, umsomehr erst eine Szene, welche
sie einschließt, sich in eine Unendlichkeit von unter einander
unabhängigen Einzelheiten auflösen läßt: derart, daß
es also eine unendliche Anzahl von Zufälligkeiten bedürfen
würde, wenn der Zufall eine lediglich aus der Phantasie
geschöpfte Szene als eine Wirklichkeit wieder hervorbringen
wollte. Mit anderen Worten: es ist eine rein mathematische
Unmöglichkeit, daß ein Maler, bloß aus seiner Phantasie
schöpfend, eine Schlachtenszene genau so auf die
Leinwand bringt, wie sie in Wirklichkeit stattgefunden hat.
Die Dame nun, welche jenen eigenartigen Traum hatte,
nimmt genau die Rolle des besagten Malers ein: ihre Einbildungskraft
rief das Gemälde hervor. Wenn nun das
Gemälde die Wiedergabe einer wirklichen Szene ist, so gebricht
es auch an jeglicher Notwendigkeit, daß diese mit
jener Szene oder mit einem Bewußtsein, das davon eine
Wahrnehmung erhalten, in Verbindung stände. Es bedarf
also nur eines Vergleichs der Anzahl »der eingetroffenen
Fälle mit der Zahl der nicht eingetroffenen. Die Statistik
hat hierbei nichts zu tun. Der einzige sich mir darbietende
Fall genügt mir von dem Augenblicke an, da ich ihn annehme
mit alle dem, was er Konkretes in sich schließt.
Wenn sich mir die Gelegenheit bieten würde, nochmals mit
dem betreffenden Herrn Professor auf den besagten Punkt
zu sprechen zu kommen, so würde ich ihm Folgendes aus-
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