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Clericus: Magicon.
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Frühe eines Freitags der Schlag. Wir sahen von unserem
Heimathause direkt in sein Wohnzimmer hinüber. Die Nacht
vor seinem Tode war es hell erleuchtet, acht Kerzen brannten
wie um eine Totenbahre die ganze Nacht. Am Morgen erhielten
wir die Todesnachricht. Von einem erleuchteten
Wohnzimmer in der Nacht wußten seine Hausgenossen
nichts. Täglich zelebrierte er in seiner Hauskapelle früh
halb 5 Uhr die hl. Messe. Ein Bruder aus dem benachbarten
Franziskanerkloster diente ihm dabei. Sein Nervenleiden
gestattete niemand die Teilnahme an dem hl. Opfer.44
Die Einsenderin des Artikels war die sehr gebildete,
auch schriftstellerisch sich betätigende Gattin eines Hauptlehrers
R. zu St. in Niederbayern. Die Dame teilte mir
auf Ersuchen Näheres über das eigenartige Ereignis mit:*)
„Als Dr. Witt plötzlich zu Landshut einem Schlaganfall
erlag, war ich 15 Jahre alt und habe die Erinnerung an
den Vorfall schon ob seiner mystischen Seltsamkeit genau
im Gedächtnisse behalten. Witt's Wohnhaus stand isoliert
im Garten. Ihm gegenüber etwas höher gelegen, im angrenzenden
Garten mein Heimathaus. Wir waren jenen
Abend lange auf und hatten nach Witt's Haus nie die Gardine
geschlossen, Witt ebensowenig; denn die Häuser lagen
doch in ziemlichem Abstand voneinander. Bevor wir schlafen
gingen, gegen zehn Uhr, machte uns Mutter auf die Helligkeit
von Wittes Wohnzimmer im ersten Stock aufmerksam.
Wir sahen's alle: wie im Leichenhause um die Bahre, so
brannten wie um ein dunkles Etwas zu beiden Seiten 4 bis 6
hohe Kerzen, und zwar auch die Nacht hindurch, wenn wir
hinuntersahen, hell und deutlich. Wir standen vor einem
Rätsel, da wir doch von keinem Todesfall gehört hatten.
Morgens zirka 5 Uhr brannten die Lichter nicht mehr.
Mutter ging täglich zwischen 4 und 5 Uhr in die Franziskanerkirche
zur Messe, daher weiß ich den Zeitpunkt noch.
Ungefähr um 1jS oder 6 Uhr morgens traf Witt (der Priester
war) im Beicbstuhl der Schlag. Witt war ein stiller Mann
voll Edelmut. — Vielleicht interessiert sie auch nachstehender
Fall. Der Vorderfront unseres Hauses gegenüber,
nur durch die Straße getrennt, stand in Landshut das
Franziskanerkloster. Die Mönche beteten morgens und
abends die Hora. Von jahrelangem Hören hatte unser Ohr *
sich ganz an die Töne gewöhnt. Wir kannten den Tonfall
ganz gut. Nachts gehen die Franziskaner nicht in den *
Chor. Einmal nun werden wir früh 1 Uhr durch die Hora
geweckt, die 2 Stimmen uns gegenüber beten und singen
*) Unter dem 14. April 1913.
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