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Deinhard: Das Schreckgespenst „Gefahr für unser Geistesleben". 283
ihr entgegentreten kann. Das Tier besitzt auch nicht jene
höheren Seelenkräfte, die dem Menschen eigen sind und die
den inneren Kampf herbeiführen, dem dieser beständig unterworfen
ist, den Kampf zwischen seinen Wünschen und Begierden
einerseits und den Geboten der Moral andererseits.
Von der Stärke der zwischen diesen Gegensätzen vermittelnden
Kraft des Denkens hängt es ab, wer in diesem Kampf
den Sieg davon trägt. Außer dieser Denkkraft besitzt der
Mensch aber noch zwei andere Kräfte höherer Art. Da ist
zunächst die, die in ihm den Drang nach Vervollkommnung,
nach Fortschritt hervorruft, und endlich die Kraft, die seinen
moralischen Impulsen zugrunde liegt, die ihn den Geboten
der Pflicht unterwirft, der Pflicht gegen seine Mitmenschen.
Alle diese Kräfte haben ihren Ursprung im menschlichen
Innern. Sie bilden dort den — wie Levy sich ausdrückt
„ dreifach schöpferischen Gotteskeim des Denkens, des Fortschritt-
Ideals und der Moral, der hineingesenkt ist in die drei Leiber des
Menschen, in seinen physischen Leib, Ätherleib und Astralleib.*
Dies sind die Grundgedanken der Steiner'sehen Weltanschauung
, die wir im ersten Abschnitt des Lövy'schen Buchs
in einer so klaren und fesselnden Weise dargestellt finden,
daß sie bei wirklich unbefangenen Lesern einen tiefen Eindruck
hinterlassen werden. —
Aber — wird man mir hier wohl einwenden —, kann
man denn unbefangen bleiben gegenüber einer Lehre, wie
dieser, einer Zergliederung des Menschen in unsichtbare Bestandteile
, in verschiedene Leiber, die niemand sehen kann?
Man soll diese Lehre wohl einfach gutgläubig hinnehmen?
Und dann, wer beweist uns denn, daß Dr. Steiner ein geschulter
Hellseher ist? Es läßt sich nicht leugnen, daß
solches Mißtrauen durchaus am Platze ist. Was darauf zu
erwidern ist, ist Folgendes:
Steiner verlangt weder von den Hörern seiner Vorträge,
noch von den Lesern seiner Schriften, daß sie ihm einfach
Glauben schenken, Wenn er von den Ergebnissen seiner okkulten
Forschung, d. h. von dem redet, was er seiner höheren
Wahrnehmungsfähigkeit an Einblicken in die tibersinnliche
Welt verdankt. Sondern was er von ihnen erbittet, ist vielmehr
das, daß sie seine Mitteilungen dem Richterstuhl einer
strengen Logik und eines kritischen Denkens unterwerfen.
Und was Le>y seinen Lesern empfiehlt, das ist, daß sie, ehe
sie Steiner's Glaubwürdigkeit in Zweifel ziehen, sich die Mühe
nehmen, dessen Entwickeln ngsgang etwas näher ins Auge zu
fassen, d. h. den Weg, den Steiner gewandelt ist, um sich
aus einem Philosophen in einen Okkultisten umzuwandeln.
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