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302 Psychische Studien. XLI. Jahrgang. 5. Heft. (Mai 1914.)
Man sieht, es ist kein Mangel mehr an geistigen Bestrebungen
, die dem herrschenden Materialismus entgegen-
wirken. Aber es fehlt an einigenden Versuchen. Es herrscht
eine gewisse geistige Eigen brödelei, Engherzigkeit, und
Fanatismus, Persönlichkeitskult, Ketzerrieeherei und Kleinlichkeit
machen sich bemerkbar.
Sollte es nicht möglich sein, den Versuch zu wagen,
einmal öffentlich eine Verständigung zwischen den verschiedenen
Richtungen anzubahnen? Könnte man nicht
einen großen geistigen Kongreß im Jahre 1915 abhalten ?
Ei» internationaler Kongreß für Geisteswissenschaft,
etwa im schönen Wien, würde ein so gutes Seitenstück zu
dem vor 100 Jahren dort tagenden diplomatischen abgeben
und könnte vielleicht ebenso wie jener eine neue Epoche
einleiten. Das Volk schaut auf führende Geister. Heute
arbeiten die geistig Höchststehenden im Stillen und viele
von denen, die Einfluß haben, sind nicht die besten Führer.
Aber eine öffentliche Aussprache könnte in vielem klärend
wirken. Mancher Gegensatz, könnte ausgeglichen werden,
wenn Katholizismus, Buddhismus, Spiritismus, Okkultismus,
Mazdaznan, Theosophie usw. zur Diskussion gestellt würden.
Man könnte dann auch daran gehen, eine internationale
Institution ins Leben zu rufen, die von allen Staaten unterstützt
in großzügiger Weise Geistesforschung veranstaltete:
eine große Bibliothek mit Lesezimmer müßte gegründet
werden, eine Akademie mit Professoren, eine Zeitschrift, eine
Zentralstelle für Ergründung okkulter Phänomene, ein
Archiv für vergleichende Religionsgeschichte, ein Institut
für ethische Forschung und Kodifizierung der Moral und
eine ähnliche Hochschule für Astrologie, eine Schule für Yoga
und ähnliche. Der Okkultismus muß wissenschaftlich in
eigenem Institut ergründet, die Religionswissenschaft in
eigener Hochschule vorgetragen werden. Schon früher
habe ich (in der Zeitschrift für Museumskunde) vorge-
schlagen, ein Museum der Religionen ins Leben zu rufen.
Bloß in Paris existiert bisher ein solches im Mus£e Guimet.
Aber der Deutsche z. B. hat keine Gelegenheit auf irgend
ein er Universität ausreichende religions wissenschaftliche
Studien zu machen. Bei der größten Wichtigkeit aller
dieser neuen Bestrebungen sollte sich bald ein internationales
Comitß bilden, das die Sache in die Hand
nimmt. Jede Zeitschrift, die diesen Gedanken verbreitet,
erwirbt sich ein Verdienst um die Menschheit. Denn der
Fortschritt kann nur auf Erforschung der Wahrheit beruhen
und die Wahrheit allein kann frei machen.
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