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330 Psychische Studien. XLI. Jahrgang. 6. Heft. (Juni 1914.)
zum Verfasser hat,*) wird die Äußerung Löhe's über eine
Erscheinung berichtet, die einem Glied seiner Gemeinde
widerfahren:
„Göttliche Verwarnung eines Wüstlings.
Ein junger Bursche von frechen Sitten wollte einst zu
einem jungen, schlankgewachsenen Mädchen in Bechhofen
durch das Fenster in die Kammer steigen, mit ihr Böses
zu treiben. Die Dirne wies ihn schon darum zurück, weil
an demselben Tage ihre Mutter gestorben war. Da rief
der Wüstling aus: „Bist du's nicht, dann ist es eine andere.*
Mit diesen Worten ging er zu einer seiner älteren Geliebten.
Da ergreift ihn plötzlich eine unsichtbare Gewalt, er fühlt
sich an beiden Armen von starken Händen gefaßt und die
Höhen von Bechhofen hinangeführt. Er hörte Tritte neben
sich und vernahm eine Stimme, aber er sah niemand. Vor
ihm her ging ein Lichtglanz. Mit unwiderstehlicher Gewalt
riß es ihn fort bis an die Hopfengärten in der Nähe von
Dettelsau. Während dessen hielt ihm eine mahnende Stimme
alle seine Sünden vor, sein ganzes vergangenes Lasterleben
wurde vor seinen Augen vorübergeführt. Die Stimme, die
mit ihm redete, hatte er auch schon auf dem Hinwege
vernommen, da sie ihn mit Namen rief. Als er sich wieder
freigelassen fühlte, eilte er bestürzt in das Dorf, aß und
trank tagelang nichts, ging auch von da an über ein Jahr
in alle Gottesdienste.
Ob der Eindruck des wunderbaren Erlebnisses auf den
Jüngling ein bleibender war, weiß Schreiber nicht zu sagen.
Ein Teufel war's wohl nicht — schreibt Löhe an Carl
v. Raumer, dem er die Geschichte erzählte —, ob Mensch
oder Engel, immerhin ein guter Geist.* —
Endlich sei aus dem köstlichen Buche des liebenswürdigen
, edlen Wilhelm von Kügelgen: „Jugenderinnerungen
eines alten Mannes* **) das freilich vielen der Leser
berfits bekannt sein wird, ein interessanter Fall von Hell-
sehen angeführt:
„Unter den Krankenlagern Mariannen's bot eines sehr
merkwürdige Momente dar. Sie verfiel bisweilen ganz von
selbst in e&n Zustand, der alle Symptome-des magnetischer,
Schlafes zeigte. Sie nahm weitentfernte Dinge und Er-
eignisse warf als wären sie iru Zimmer. Fre/nde, die sie
besuchten, sah sie von weitem kommen, markierte alle Stationen
, die sie passierten, den Altmarkt, die Brücke, die
*) 3 Bände 1874—1892 (Nürnberg, Löhe). Die Stelle findet sich
im 2. Band, 8. 229.
**) Verlag von Langewiesche 1909 („Bücher der Kose«), S. 260 ff.
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