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Kurze Notizen.
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ist nun erstaunlich, wieviel weniger dieser Mensch ohne
Großhirn zu leisten vermochte, als der erwähne Goltz'sehe
Hund. Das Kind hat in dauerndem Schlafe gelegen, die
Arme waren kontrahiert, und fast bewegungslos lag das
Wesen 3:>,;4> Jahre da. Nie wurden die Hände zum Greifen
oder Halten benutzt. Vom zweiten Jahr an hat das Kind
immerwährend geschrieen; durch Andrücken, besonders des
Kopfes, konnte das Geschrei sofort gestillt werden. Es war
nicht möglich, irgend eine seelische Reaktion zu finden, zu
dem Kinde in Beziehung zu treten oder gar es etwas zu
lehren. Dieser Fall zeigt sehr deutlich, wie die Leistungen
des Großhirns in der Wirbeltierreihe an Bedeutung gewinnen
, wie die höheren Tiere und ganz besonders der
Mensch immer mehr von dem Neuhirn abhängig werden,
ja daß der Mensch dessen Leistungen gar nicht mehr entbehren
kann. Das Kind ohne Großhirn „war weniger
leistungsfähig, als ein Fisch, oder als ein Frosch ohne
Großhirn«.
f) Das Gespenst im Dienste des Untersuchungsrichters
. Schon oft sind die eigenartigen
Methoden, deren sich die amerikanische Polizei zu bedienen
beliebt, wenn es gilt, einen Untersuchungsgefangenen zu
einem Geständnis zu zwingen, ein Gegenstand heftiger Kritik
gewesen. Der „dritte Grad14 hat als eine spezifische Erfindung
der amerikanischen Polizei traurige Berühmtheit erlangt
. Allein die Behörden von Los Angeles sind jetzt
noch weiter gegangen. Ihnen genügten die üblichen Mittel
des „dritten Gradesa nicht. Das Mittel, durch ein erbarmungslos
über Tage und Nächte ohne Unterbrechung fortgesetztes
Kreuzverhör die seelische und körperliche Widerstandskraft
des Untersuchungsgefangenen zu brechen, schien
ihnen jedenfalls nicht ausreichend, und so kamen die Herren
von der Polizei auf die originelle Idee, zur Erpressung
eines Geständnisses die Gespensterfurcht anzurufen. Der
Mann, an dem zuers.t dieses neue amerikanische Hilfsmittel
der Voruntersuchung angewandt wurde, ist der junge Chemiker
J. H. Grondin, der in Verdacht geraten ist, seine
Frau ermordet zu haben. Grondin erklärt, seine Frau habe
mit Leuchtgas Selbstmord verübt, was seinerzeit, Ende Oktober
, auch nicht angezweifelt wurde, da der Gatte einen
Brief seiner Frau vorweisen konnte, in dem sie ihren Selbstmord
durch ihre Reue über begangene Untreue erklärte.
Als aber später eine junge Witwe in Los Angeles auftauchte,
für die Grondin sich lebhaft zu interessieren schien, und
als die Prüfung jenes Briefes durch Graphologen den Verdacht
einer Fälschung nahelegte, verhaftete man den jungen
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