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Kaindl: Über wahre und falsche Moral
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vermittelt wird, sein Oberbewußtes aber in seiner Abgeschlossenheit
gleichsam die Werkstätte der Individualisierung
bildet, so wird es von dem Grad der Isoliertheit
des bewußten vom unbewußten Leben abhangen, ob und in
welchem Maße in einem Individuum oder in einer Gesamtheit
von solchen der Egoismus oder der Altruismus zur
Wirksamkeit gelangt.
Während dem Egoismus des Oberbewußten die Erkenntniskraft
der Intelligenz zu Diensten steht, empfängt
der Altruismus des Unterbewußten seine Inspirationen von
der Intuition.
Die egoistische Grundtendenz des Individuums und
seine Erkenntniskraft, die Intelligenz kann man sich, personifiziert
, passend in folgendem Zwiegespräche denken:
Faust (als Personitikation des Egoismus):
„Behaapten will ich fest mein starres Ich,
Mir selbst genug und unerschütterlich,
Niemandem hörig mehr und unterthan,
Verfolg' ich in mich einwärts meine Bahn."
Mephistopheles (als Personifikation der Intelligenz/:
„Ich aber dien** dir als Grubenlicht. * —
Treffend hat Swedenborg den Egoismus und seine Erkenntniskraft
charakterisiert. Er sagt: »Die Selbstliebe ist
so beschaffen, daß sie nur sich allein im Auge hat und die
anderen entweder für gering oder für nichts achtet. Wenn
sie manche für Etwas achtet, so geschieht dies, so lange
dieselben sie ehren und feiern; im Innersten dieser Liebe
liegt, wie im Samenkorn, das Streben, Frucht zu bringen
und sich zu vermehren, das Streben verborgen, ein Großer,
und womöglich ein König, und dann womöglich ein Gott zu
werden :*) von solcher Art ist der Teufel, weil er die Selbstliebe
selbst ist; er ist von der Art, daß er sich selbst anbetet
und keinem günstig ist, der ihn nicht auch anbetet;
einen anderen, ihm ähnlichen Teufel haßt er, weil er allein
angebetet sein will. " Weil es keinen Trieb geben kann
ohne seine Genossin, und die Genossin des Triebes oder
Willens im Menschen die Verstandestätigkeit genannt wird,
und die Selbstliebe ihrer Genossin, der Verstandestätigkeit,
ihre Liebe einflößt, so wird diese in jener zum Dünkel,
welcher der Dünkel eigener Einsicht ist: daher die eigene
*) Also der „Wille zur Macht*, welcher nach Weng nebst dem
„Kampf ums Dasein" und dem „Fortschritt* die drei heiligen Attribute
der Götter Darwin und Nietzsche bildet, welche die modernen
Naturalisten im Tempel der Fortschrittsanbetung verehren (G.
Weng: „Schopenhauer-Darwin).
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