http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1914/0415
408 Psychische Studien. XLI. Jahrgang. 7. Heft. (Juli 1914.)
Stoffes. Aus dieser T5bersicht ersieht man nun, ob in dem
System Lücken vorhanden sind. Deren Ausfüllung erheischt
neues Suchen, Sammeln und Ordnen. Kann kein Tatsachenmaterial
für diese Lücken herbeigeschafft werden,
und erweist sich gleichwohl die aus den Ergebnissen aufgestellte
Ordnung als so zwingend, daß sie nicht preisgegeben
werden darf, so muß der Forscher, wenn er zu einem zeitlichen
Abschluß kommen will, die Lücke mit seiner eigenen
Wahrscheinlichkeitserkenntnis aasfüllen und für
die vermutete, aber erst später auffindbare Tatsache Kaiini
bereit halten. So wie dieser Zettelkasten jetzt ist, gleicht
er — mit Ausnahme der Aufschriften, die innerer Notwendigkeit
entsprangen, — in der Anlage seines Systems
einem jeden aus andern Gebieten. Alle zusammen ergeben
ein System geordneter Tatsachen. Das Prinzip
der Ordnung kann leicht wieder zerstört und nach einem
andern Gesichtspunkte hergestellt werden, nach welchem
ganz andere Konklusionen gezogen werden können, die
womöglich den auf der ersten Ordnung beruhenden entgegen
gesetzt sind. Ein Zettelkasten ist eben — im Gegensatz
zum Buch, das Titel und Ende hat — nie fertig, aber
stets abschlußbereit.
Ähnlich verhält es sich mit andern Wissensgebieten.
Laboratoriumserfahrungen, Beobachtungen in der Klinik,
in der Luft, auf dem Felde, iro Bergwerke usw. können
ebenso gut, für sich betrachtet, einem Zettel verglichen
und systematisch geordnet werden. Wissenschaftlichen
Wert erhält diese Arbeit aber erst dann, wenn damit
eine neue Tatsache herbeigeschafft oder ein neuer Gesichtspunkt
für die Ordnung bekannter Tatsachen gewonnen
worden ist, nach welchem diese klarer erkannt, zweifelhafte
gesichert werden können.
Der Weg des Wissenschaftlers ist stets der gleiche.
Immer handelt es sich für ihn darum 1. forschen; 2. die
Forschungsergebnisse sammeln; 3. das Gesammelte
ordnen; 4. es bewerten; 5. das Bewertete zu einer
Synthese vereinigen; 6. die Lücken mit der Arbeitshypothese
überbrücken 7. und womöglich das Ganze
im Zusammenhange mit den übrigen Gebieten der
Wissenschaft darstellen. —
Wissenschaft ist Arbeit und das Besondere
dieser Arbeit ist, daß sie restlos getan werden
muß, ohne Furcht und ohne Rücksicht.
Ausgangspunkt und Ziel ist lediglich: Erlangung eindeutigen
, sichern Wissens. Da es für einen einzelnen
Menschen nicht möglich ist, alle menschlicher
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1914/0415