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428 Psychische Studien. XLI. Jahrgang. 7. Heft. (Juli 1914)
„Nachdem also das Seil frei in der Luft zu hängen
scheint, fordert der Fakir einen Jungen auf, an dem Seile
in die Höhe zu klettern, dessen Ende in den Wolken zu
verschwinden scheint, und man sieht nun tatsächlich, wie
der Junge immer höher und höher emporklettert, um bald
den Blicken der Zuschauer durch verdeckende Wolken entzogen
zu sein. Ängstliches Bangen erfüllt die Herzen der
Zuschauer, da der Knabe trotz der Aufforderungen und
Kufe des Fakirs nicht mehr herunterkommt. Der Zauberer
entschließt sich nun, zwischen den Zähnen einen Säbel
haltend, selbst am Seile emporzuklettern, um den Jungen
herunterzuholen. Nach kurzer Zeit verschwindet er ebenfalls
in den Wolken. Zum größten Entsetzen des zusehenden
Publikums fällt nun der Körper des Knaben, von dem
Säbel des Fakirs in Teile zerstückelt, zur Erde. Gleich
darauf kommt der Fakir herunter, um die am Boden
liegenden Körperteile des Jungen zusammenzusetzen, und
siehe da, nach kurzem Anhauchen durch den Fakir erhebt
sich der Knabe frisch und gesund wieder, worauf nun der
Zauberer sein Seil wieder zur Erde bringt.* —
„Wenn man nun den ersten Teil des Experimentes für
glaubwürdig hält, so muß man wohl auch den zweiten Teil
für zuverlässig halten. Es würde sich aber trotz der „ Erkenntnis
der Schwerkraft44 nicht gut durchführen lassen,
irgend eine physikalische Kraft für das Zustandekommen
des zweiten Teiles zu finden, und es wird sich empfehlen,
des „Rätsels Lösung" einzig und allein in einer „Massenhalluzination
" zu finden, in einer Sinnestäuschung, die im
selben Sinne zugleich auf eine ganze Anzahl von Menschen
wirkt und von diesen als Tatsache betrachtet wird, ähnlich
wie eine Menge von Massenhalluzinationen aus alter und
neuerer Zeit überliefert sind. Es fehlt uns leider heute
noch die Erkenntnis, wie die Fakire dabei zu Werke gehen,
um die Halluzination zugleich auf alle Zuschauer zu übertragen
. Wenn es einem tüchtigen Hypnotiseur auch gelingt,
bei einem Drittel seiner Zuschauer durch Wachsuggestion,
und zwar durch Worte halluzinatorische Eindrücke, Sinnestäuschungen
im oben erwähnten Sinne zu erzeugen, so
bleiben immerhin noch zwei Drittel, difc auf die Halluzination
nicht eingehen, d. h. eben das nicht sehen, was der
Hypnotiseur will. Wenn nun die Behauptung richtig ist,
daß alle Zuseher der Versuche der Fakire auf das Experiment
eingehen, also alle der Halluzination unterlegen sind,
so müssen wir wohl annahmen, daß diese Leute über „Kenntnisse
* in dieser Richtung verfügen, die uns heute noch
mangeln. Vielleicht sind es bestimmte Räuchereien, ähnlich
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