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Freimark: Die mediuinistische Kuost im Lichte ihrer Geschichte. 453
sozusagen in den Künstler eintrat und sich seiner Hand
bediente, um ihre Züge auf die Leinwand zu werfen. Auch
ereignete es sich wohl, daß ein eifriger Schüler, der mit
seiner künstlerischen Aufgabe nicht zustande kam, im Schlaf
eine klärende Weisung von dem verstorbenen Lehrer seiner
Kunst zu empfangen vermeinte. Auf eine Angabe aber,
die analog der Behauptung der künstlerisch sich betätigenden
Medien unserer Zeit wäre, stoßen wir nicht. Eine Besitznahme
durch einen Küostlergeist kennt keine frühere
Epoche. Und sie kennt gleichfalls keine Begabungen, die
bei Unbegabten in späteren Lebensaltern plötzlich hervorbrechen
unter Umständen, die mit denen des spiritistischen
Milieus eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen/
Ebensowenig treffen wir bei den Somnambulen der
Pneumatologen und Mesmeristen auf derartige Umstände.
Zwar finden sich in der magnetistischen Literatur zahlreiche
Berichte über eine gewisse künstlerische Befähigung der
Somnambulen, die sich in ihren Schlafzuständen äußert,
aber nicht einmal behauptet eine, ihre Gabe von einer
Geistpersönlichkeit zu empfangen, die von ihrem eigenen
Ich unterschieden sei. Auffällig ist auch, daß die künstlerische
Betätigung der Somnambulen sich vorwiegend auf
Dichtung und Musik beschränkt. Sie singen, spielen hie
und da improvisierend ein Instrument, wenn die Entzückung
sie ergreift; sie sprechen 4n Versen, ihre Sprache wird voll
und tönend, nimmt an Schwung und Bilderreichtum zu,
aber sie malen nur sehr selten. Dabei hätte manche der
Somnambulen Anlaß genug gehabt, zu Stift und Pinsel zu
greifen; liebten doch viele von ihnen die Ausflüge auf
Sonne, Mond und Sterne gleich den spiritistischen Medien.
Wie diese, geben die Somnambulen lange Beschreibungen
von jenen anderen Weltkörpern und ihren Bewohnern, sie
schildern die Zwischenwelten in den verschiedensten Farben,
doch illustriert haben sie diese Beschreibungen nicht. Was
sie allenfalls zeichneten, waren Entwürfe der sogenannten
Baquets, die sie für ihre Heilung nötig hielten. Am bekanntesten
ist von diesen Entwürfen die Zeichnung der
»Seherin von Prevorsta zu ihrem »Nervenstimmerin*. Die
Seherin hat außer diesem Entwurf noch den Sonnen- und
den Lebenskreis gezeichnet, Kreisfiguren, in denen sie ihren
Lebensablanf in allerlei Zeichen eintrug. Uber den Vorgang
dieser Arbeit berichtet Kerner:*) »Sie entwarf die
ganze Zeichnung selbst in unglaublich kurzer Zeit, und ge-
*) „Die Seheria von Prevorst/ 4. Aufl., 1846, in der von
du Prel besorgten Neuausgabe, S. 224.
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