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466 Psychische Studien. XLI. Jahrgang. 8. Heft. (August 1914.)
sucht. Die Überwindung derselben ist seine conditio sine
qua non.
Der Abscheu gegen Kadaver und Gespenster ist nichts
anderes als die Furcht vor dem Tode und vor all den
Naturkräften, die der Mensch nicht bezwingen kann. In
der drückenden Stimmung, wo der Mensch nach einem vernichtenden
Naturereignis ganz die Ohnmacht seiner Kräfte
erkennen mußte, hat er sich durch dauerhaftere Naturvorgänge
, wie Sterne, Berge, den stets gleichen Verlauf der
Tages- und Jahreszeiten usw. getröstet und in dem Gedanken
„Ewigkeit" etwas von dem Drucke der Ohnmacht
Befreiendes, Stärkendes geschaffen. Freilich ist die vorausgegangene
Ohnmacht nicht ohne Spur in der Erinnerung
geblieben, im Gegensatz zu der selbst den mächtigsten
Naturereignissen frei gegenübei stehenden Bewunderung,
zu der starke Naturen sich durchringen, hat die Angst vor
einer Wiederkehr in den Schwachen den Drang erweckt,
da, wo die physischen Kräfte versagen, moralische und
geistige zur Mitwirkung heranzuziehen. Und schließlich
haben Priester dieses Verlangen benutzt und an Stelle des
natürlichen ein moralisches Kausalgesetz mit käuflicher Beschränkung
gesetzt unter geschickter Deutung der unter
„ Spiritismus * begriffenen Energieformen, solange diese von
der Wissenschaft vernachlässigt worden waren. Dadurch
ist der Anschein entstanden, als sei er eine Stütze des
priesterlichen Gottes - und Unsterblichkeitsglaubens und
eine Hemmung der voraussetzungslosen Wissenschaft, während
er vielmehr danach strebt, in freier Forschung furcht-,
rücksichts- und restlos alle jene Ubermächtig und ewig erscheinenden
Vorgänge systematisch zu erforschen, wo eine
ganz bestimmte — vielleicht als Seelenkraft anzusprechende
— Energieform außerkörperliche physische Wirkungen
hervorbringt oder organische Funktionen des Körpers, den
Wahrnehmungsapparat und den Vorstellungsbesitz in auffälliger
, dem normalen Verlauf scheinbar widersprechender
Weise beeinflußt. Die um den Ewigkeitsgedanken und Unsterblichkeitsglauben
sich gruppieren den Vorstellungen
können ihm hierbei als Wegweiser zur Auffindung analoger
Vorgänge in geschichtlicher Zeit dienen. Der sie erzeugende
Instinkt aber wird so, von der ihn vergrößert projizierenden
, Schreck und Reiz erregenden Unklarheit befreit, rein
in seiner natürlichen Funktion zu erkennen sein. Es besteht
mithin kein Grund, die spiritistische Forschung als
Furcht undAberglauben fördernd wissenschaftlich abzulehnen.
Wohl können äußere Rücksichten als Hemmnisse für
den Forscher auftreten. Er darf z. B. nicht einen lebenden
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