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538 Psychische Studien. XLI. Jahrg. 9. Heft. (September 1914.)
storbenen Mönches ausgraben und in das Bett des kranken
Prinzen legen, so daß Don Carlos neben der Leiche schlafen
mußte. Als der Prinz dann wieder gesund wurde, schrieb
der König die Heilung nicht der Operation, sondern dem
von ihm ersonnenen merkwürdigen „Heilmittel* zu. Das
größte Vergnügen Philippus II. war ein schönes Begräbnis;
er fehlte bei keiner Leichenfeier. Dem Tode errichtete er
einen ganzen Tempel: den Eskorial. Dieses gigantische
Grabmal sollte nach dem Willen des Königs seiner Gestalt
nach an ein Marterinstrument erinnern. An diesem düsteren
Ort saß Philipp ganze Tage lang in Gedanken versunken.
„Aufheitern* konnte man ihn nur, wenn man mit ihm von
seinem Tode sprach oder ihm vom Tode eines seiner
Freunde erzählte. Thanatophil war auch „Johanna die
Wahnsinnige", die Tochter der katholischen Isabella und
Ferdinande von Aragonien, eine bedauernswerte „Närrin
der Liebe", die mit 26 Jahren Witwe geworden, sich nicht
entschließen konnte, sich von dem Leichnam ihres Gatten,
„Philippus des Schönen* zu trennen. Sie behielt die Leiche
in ihrem Zimmer, legte sie auf ein Paradebett, bewachte sie
eifersüchtig und duldete es nicht, daß sich dem Toten
irgend eine Frau näherte. Der Leichnam begleitete sie auf
allen ihren Reisen. Karl V. lebte von 1555 an ständig in
einem schwarz ausgeschlagenen und von sieben Sterbekerzen
erhellten Zimmer. Er soll sein eigenes Begräbnis
gefeiert haben. Von allen seinen Dienern, die bittere
Tränen weinten, umgeben, wohnte er seiner Beisetzung bei
und betete zu Gott für die Ruhe und das Heil seiner
Seele; in Trauerkleidern, eine Kerze in der Hand, sah er
„sich begraben". Nach dem Begräbnis aber erfaßten ihn
Fieberschauer; er mußte sich ins Bett legen und stand nie
wieder auf, sodaß er bald ernstlich begraben werde» konnte.
Margarete von Osterreich stickte und nähte Tage lang für
den Toten, interessierte sich nur für das, was in irgend
einer Beziehung zum Sterben stand, und sprach von dem
Tode mit solchem Eifer, daß sie sich in Ohnmacht hineinredete
. Ihr Sohn Philipp IV. pflegte sich in seinen Sarg
zu legen und ein Begräbnis erster Klasse zu organisieren.
Großes Vergnügen hatte er, wenn er in den Grüften des
Eskorials in den Särgen seiner Ahnen herumwirtschaften
konnte. Er ordnete seine „Väter" ein, wie etwa ein Bibliophile
auf dem Büchergestell die Bücher ordnet.
g) DieZerstörung der„Friedenspappel\
An dem Abend, an dem in Belgrad die österreichische
Note überreicht wurde, hat die Gewalt der Elemente in
Jena der im Jahre 1816 gepflanzten „ Friedenspappel * am
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