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552 Psychische Studien. XLI. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1914.)
Reiten. Der Markgraf hatte mir ein schwarzes, sehr sanftes
Pferd gegeben; doch da ich sehr schwach war, ritt ich
höchstens eine Viertelstunde. Alles Neue mißfällt. Diese
Sitte, die in England und Frankreich sehr gebräuchlich
ist, war in Deutschland unbekannt, alle Welt schrie dagegen
und daher entstanden die Gespenster. Nach kurzer
Zeit benachrichtigte man den Marschall von Reitzenstein,
daß ein Gespenst von fürchterlicher Gestalt alle Abende in
einem der Gänge des Schlosses erscheine and mit fürchterlicher
Stimme die erstaunlichen Worte ausspräche: »„Sagt
der Fürstin des Landes, daß ihr, wenn s:e fortfährt, ein
schwarzes Pferd zu reiten, großes Unglück bevorstehe, und
daß sie sich wohl hüte, während sechs Wochen aus dem
Zimmer zu gehen.tfÄ
Herr von Reitzenstein, ein sehr abergläubischer Herr,
benachrichtigte den Markgrafen sogleich von dieser Erscheinung
, worauf mir dann unverzüglich der Befehl zukam,
weder das Schloß zu verlassen, noch in die Reitschule zu
gehen. Das verdroß mich sehr, und besonders wegen einer
so ärmlichen Ursache. Ich versicherte den Markgrafen,
daß das ein abgeredetes Spiel sei, und der Erbprinz teilte
ihm sogar seine Vermutungen darüber mit und drang so
lebhaft in ihn, daß er ihm endlich erlaubte, der Sache
gründlich nachzuforschen. Nun ließ er treue Leute durch
alle Eingänge herein, welche dem Gespenste Zugang verstatteten
; es war aber so gut unterrichtet, daß es sich an
den Tagen, wo man ihm aufpaßte, nicht zeigte. Er versprach
endlich der Person, die ihm die Mitteilung gemacht
hatte, eine große Summe, wenn sie entdecken könnte, wer
es sei. Das arme Weib nahm eine Blendlaterne mit sich,
hatte aber eben nur Zeit, das Gespenst ins Auge zu fassen,
denn das hatte seine Maßregeln genommen und blies ihr
ein so feines Gift in die Augen, daß sie davon blind
wurde. Nach ihrer Aussage hatte der Geist Nußschalen auf
beiden Augen und das Gesicht dergestalt mit grauer Leinwand
umwunden, daß sie es nicht erkennen konnte. Des
Markgrafen Frömmelei oder vielmehr seine üble Laune
gegen uns ward durch diese Entdeckung keineswegs gehoben
. Der Erbprinz meinte, un\ alFem Zwist zuvorzukommen
, sei es am besten, wenn wir uns entfernten.
Schon seit langer Zeit waren wir dem Markgrafen von Ansbach
einen Besuch schuldig, nahmen also den kritischen
Zeitpunkt wahr, um ihn zu erwidern, und reisten am
21. Januar nach seiner Residenz ab.
Beinahe wäre die Weissagung des Gespenstes in Erfüllung
gegangen. Indem wir neben einem ungeheuren
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