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572 Psychische Studien. XLI. Jahrg. 10. Heft. (Oktober 1914.)
ist jedenfalls etwas durchaus Unbestimmtes und Veränderliches
, es besteht aus nichts anderem als aus einer Reihe
von Erinnerungen, von undeutlichen, veränderlichen Vorstellungen
, die alle mit dem Lebensinstinkt zusammenhängen
(21). Der deutlichste Punkt darin ist noch das
Gedächtnis; aber jedermann weiß, wie großen Schwankungen
gerade dieses unterworfen ist. So zerstören wir
unser Verlangen nach Unsterblichkeit selbst, indem wir,
wie sich M. ausdrückt, die ganze Bedeutung unseres Nachlebens
in einen der zufälligsten und flüchtigsten Teile unseres
Gesamtdaseins legen, und die Kirche hat diesem Instinkt
in uns Eechnung getragen, wenn sie uns, auf die primitivsten
Vorstellungen zurückgreifend, Unsterblichkeit dieses
Ichs verheißt (23). Eine solche Unsterblichkeit ist aber
eben aus zwei Gründen ganz undenkbar. Nähmen wir auch
an, unser Ich und nur dieses würde in der Ewigkeit weiterleben
, — wir würden diese Ewigkeit, in der wir lebten,
mit diesem Organ garnicht begreifen können, weil es eben
nur ein flüchtiges Produkt von ein paar Erinnerungen ist;
es würde in eine grenzenlose Verwirrung geraten, wenn es
plötzlich in ein Leben geriete, mit dem es seinem ganzen
Wesen nach so gar nichts zu tun hat. Und noch eins:
wenn dieses Ich kein Ende nehmen will, so muß es auch
zugeben, daß es keinen Anfang gehabt hat, aber sollte
dieses präexistente Leben für immer ganz ohne Spuren
bleiben? Wir müßten doch erwarten, daß in diesem Bewußtsein
, das uns überleben soll, auch Spuren von dem
Unendlichen zurückblieben, das vor unserer Geburt lag (31).
Also auch diese Erwägung spricht dagegen, daß von uns
nach dem Tode nur unser Ichbewußtsein weiterlebt. Es
bleibt nur eine andere Möglichkeit: das Fortleben im Weltgeist
oder in einer anderen Bewußtseinsform.
Hier beginnt derjenige Teil des Buches, der für den
okkultistisch interessierten Leser das größte Interesse haben
wird: Maeterlinck kommt hier auf die verschiedenen Versuche
zu sprechen, die man gemacht hat, um auf Grund
der Erfahrung — äußerer oder innerer — dieses Rätsel
zu lösen. Wenig Zutrauen hat der Verfasser zunächst zur
Theosophie, wenngleich man nach ihm zugeben muß, daß
vor allem der Glaube an die Seelen Wanderung von allen
religiösen Hypothesen dem menschlichen Verstände am
wenigsten zuwiderläuft. Dazu kommt das hohe Alter dieses
Glaubens und die Zustimmung, die er zu allen Zeiten bei
den größten Philosophen gefunden hat (35). Nicht weniger
geistreich sind auch andere Anschauungen der Theosophie,
wie z. B. die von den Elementalen. Aber die Beweise, die
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