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Hänig: M. Maeterlinck: Vom Tode.
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Schluß zu erhalten, aber es bleibt doch nach dem früher
Gesagten nur noch die Möglichkeit bestehen, daß es entweder
ein Fortleben ohne Bewußtsein ist oder ein Weiterleben
im Weltgeist. Denn die unerschöpfliche Intelligenz,
die wir überall in der Natur sehen, kann doch wohl nur
die Emanation eines unendlichen Bewußtseins sein, und die
Wandlungen, die unser körperliches Ich während unseres
irdischen Daseins durchmacht, beweisen, daß auch noch
größere Fortschritte unseres Bewußtseins nicht zu den Unmöglichkeiten
gehören. Die Annahme eines Fortlebens
ohne Bewußtsein ist die bequemste von allen, aber sie
ist aus demselben Grunde wie früher zu verwerfen: der
Anteil, den die Unendlichkeit an unserem Bewußtsein
naturgemäß zu fordern hat, würde dann nicht zu seinem
Kechte kommen (94). Es bleibt also nur noch die Mög-
lichkeit, eine Entwicklung in der Ewigkeit, d. h.
im Weltgeiste anzunehmen. Diese Ewigkeit hat allerdings
, wie sich der Autor ausdrückt, für uns zwei Gesichter
: stellt, sie wirklich eine ewige Veränderung und
Entwicklung dar oder ist das nur ihre scheinbare Kehrseite
, während sie in vYirklichkeit unverändert ist? Werden
wir also ewig der Veränderlichkeit anheimfallen oder werden
wir in die Ewigkeit eingehen, sodaß es für unseren Geist
nach dem Tode keine Weiterentwickelung mehr gibt?
Jedenfalls ist der letztere Fall für uns schwerer zu denken
als der erstere, denn wir können uns das Weltall garnicht
ohne die Menge von Welten vorstellen, die vor uns vorhanden
waren und sich noch nach uns entwickeln können
(110). Aber auch jene andere Lösung hat ihre Schwierigkeiten
: warum ziehen wir, wenn diese Entwicklung tatsächlich
vorhanden ist, keinen Nutzen aus ihr, warum muß
jeder von uns von vorn anfangen und immer wieder Dasselbe
tun, was schon tausendmal vor uns getan worden ist?
Liegt der Irrtum vielleicht in unserem Gottesgedanken?
Einstweilen liegt jedenfalls kein Anlaß zur Ermutigung
vor; wir müssen, wie M. sehr schön sagt, nicht darauf
warten, daß das All sich verwandle, sondern daß unser
Denken sich entfalte oder an jener anderen Kraft teilnehme
(112).
Rätsel über Rätsel sind es, die uns umgeben, aber mit
diesem Unendlichen, das wir so wenig begreifen, hängt all
unser Denken zusammen, und es verläuft in ihm, wenn es
sich auch nur auf alltägliche Dinge bezieht. Aber ein
Grund zur Beunruhigung liegt nicht hierin, denn ein unendliches
Unglück ist ebensowenig denkbar wie ein unendlicher
Irrtum. Ist das All sein eigener Herr und ist es
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