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586 Psychische Studien. XLL Jahrg. 10. Heft (Oktober 1914.)
Übereinstimmung zwischen den Besitzern zweier weit von
einander entfernter Gehirne auf diesem Wege zustande
kommen könnte. Wenn diese Gehirnwellen nicht durch
irgend welche Zeichen nach Art des Morsealphabets sich
betätigen könnten, so würde man auch im Fall des Empfangs
einer Sendung nicht wissen, was sie zu bedeuten
hätte. Die Leute jedoch, die sich selbst für telepathisch
begabt halten, haben sich zur Kenntnis solcher Zeichen
bisher selbst nicht bekannt, wollen auch nicht behaupten,
daß sie imstande wären, jede ihnen absichtlich durch die
mutmaßlichen Gehirnwellen aus der Entfernung zugesandte
Depesche aufzunehmen und zu verstehen. Das muß betont
werden, weil viele halbgebildeten Leute, die gern an
Wunder glauben, mit der Telepathie wie mit einer wissen-
schaftlichtn Tatsache rechnen, namentlich nachdem die
drahtlose Telegraphie die Vorstellung einer derartigen
Übertragung oL/Leit-S erleichtert U Es ist ebenlür
einen wissenschaftlich nicht gefestigten Verstand schwer, sicher
ermittelte Erscheinungen von solchen zu trennen, die vielleicht
sein könnten, aber noch von niemand nachgewiesen
worden sind. Es ist doch so bequem, an etwas so lange
zu glauben, als es nicht widerlegt werden kann. Vor allem
kommt man dadurch über die Lage hinweg, die von der
Mehrzahl der Menschen als eine Art von Erniedrigung empfunden
wird, von vielen Dingen einfach zugeben zu sollen,
daß man sie nicht erklären könne, daß man von ihnen
überhaupt nichts wisse Man könnte es geradezu als ein
Unterscheidungsmerkmal zwischen einem echten Gelehrten
und anderen Leuten bezeichnen, daß jener den Mut habe,
seine Unwissenheit einzugestehen, während sonst an ihre
Stelle alsbald eine zum Glauben gesteigerte Vermutung
oder Einbildung tritt. Die hervorragendsten Vorkämpfer
der Telepathie haben übrigens keineswegs eine Erklärung
dafür zu geben gewagt, noch weniger behauptet, daß die
Sinnesorgane und die Gehirnsubstanz durch Gehirnwellen
über große Abstände hinweg erregt werden könnten.
Vielmehr haben sie, was wenigstens ehrlicher ist und eine
Verquickung mit wissenschaftlichen Anschauungen vermeidet
, die Mitwirkung eines „Geistes**1, der unabhängig
von der Materie und ihren Bewegungsformen sei, beim Zustandekommen
der Telepathie angenommen. Damit wird
sie zu einem Bestandteil des Spiritismus, und da sollte sie
auch bleiben. Die Frage, die immer wieder auftaucht,
bezw. aufgeworfen wird, betrifft die Glaubwürdigkeit der
Erzählungen von Vorgängen, die als ein Beweis der Telepathie
angesehen werden. Bei unmittelbarer Berührung
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