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-600 Psych. Stud. XLI. Jahrg. 11. u. 12. Heft. (Nov.-Dez. 1914.)
die Rührung dazu, so daß nur zu leicht Mängel usw. verborgen und
unerkannt bleiben.
„Ich bin nicht überzeugt*', sagt Prof. Morselli, „daß sich hinter
dem Vorhang eine ganze Person bildet; diese kleinen Hände,
dieses feine Profil scheinen mir Fragmente einer Materialisation,
die nicht vollständig ist. Noch mehr: ich habe aus der räumlichen
Lage der Hände und des Gesichtes den Eindruck gewonnen, daß
es sich um ein kleines Wesen handelt, von niederer Statur, von
7—8 Jahren; aber dieses Wesen war aus Stücken schlecht gebildet
und nur von ungefähr konstruiert. Auch standen die Teile
nicht im Verhältnis zu einander: so z. B. war das Gesicht sicher
zu groß für die Hände, die Lippen, welche meinen Daumen gepreßt
, waren zu dick und zu vorstehend für ein kindliches Antlitz.
Der Umstand, daß man mich jeden Teil gesondert berühren ließ,
und zwar mit offenbarer Absicht zuerst die Hände, dann das Gesicht
und darauf die Lippen, macht den Eindruck, daß diese
Partien losgelöst von jedem Körper und für sich allein bestanden;
ebenso schien der Kuß und der darauf folgende Seufzer mehr
ein auf Überzeugung berechnetes Manöver, als eine spontane
Offenbarung der spiritualen Welt zu sein". —
Die Personifikation hält Prof. Morselli für das Resultat eines
psychologischen Prozesses, der sich der Hauptsache nach außerhalb
des Wirkungskreises des Mediums vollzieht; er ist in der Tat
sehr selten und meistens unvollkommen. Die Geschichte des
Spiritismus hat sich durch eine Menge von nicht sicheren Anekdoten
gebildet, von Wiedererkennungen, die nur annähernd stimmten
und von Ähnlichkeiten, die für Gleichheit genommen wurden.
Nicht einmal von Katie King, dem klassischen Phantom, hat man
gewußt, wer sie war, und alles läßt darauf schließen, daß sie,
wenn sie authenisch ist, hervorging aus der Traumphantasie
der Florence Cook. Auch die Materialisationen in
den Eusapianischen Sitzungen hält Morselli für unpersönlich
oder nur zum kleinsten Teil für persönlich. Es handelt sich um
teleplastische Bildungen, die immer geformt werden durch ein Bedürfnis
oder durch einen Wunsch oder durch eine Suggestion des
Mediums; ihre Tätigkeit ist beschränkt auf ein Spiel von nur geringem
Werte seines intellektuellen Inhaltes, sowie von geringer
Bedeutung hinsichtlich der Gefühlsäußerungen und ohne irgend
einen deutlichen persönlichen Charakter. Angesichts solcher Verstorbenen
, die sich unter so niederen Verhältnissen von Intellekt
und Gefühl offenbaren, mit solcher Unpersönlichkeit und Apathie,
ist man gezwungen auszurufen: „Wenn in euch eine solche Verminderung
eurer mentalen Persönlichkeit vorangegangen ist, dann
bleibt, wo ihr seid; es ist trostreicher für uns, und würdiger für
euch und moralischer für die gläubige Menschheit!" .... Es
ist nicht ein transzendentes Wesen, welches die ungewöhnliche und
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