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624 Psych. Stud. XLI. Jahrg. 11. u. 12. Heft. (Nov.-Dez. 1914.)
sie irgendwie zu vermenschlichen und gar persönlich aufzufassen,
wie es alle Religionen mit ihren mehr oder weniger antropomorphen
Gottesvorstellungen getan haben.
Die Annahme einer Weltseele erleichterte die Erklärung, wie
sich die ersten Lebewesen gebildet haben. Einer Weltseele darf
man alles „Wissen" der das Anorganische beherrschenden Gesetze
und damit das Vermögen zutrauen, den, menschlich gesprochen
, unendlich tief durchdachten Plan zu ersinnen, der schon
im niedrigsten Lebewesen zur Ausführung gekommen ist. Man
kann aber auch von der Vorstellung einer komplexen Weltseele ab-
sehen. Man kann annehmen, dass, wie das Stoffliche in ca. 80
Elementen gesondert ist, auch im Seelischen Differenzierungen ein-
getreten sind, daß wie die Maße unseres Planeten im wesentlichen
konstant ist, auch das Seelische auf der Erde seit ihrer Abtrennung
von dem Zentralkörper einen gewissen Betrag hat.
Dieses Seelische wäre nicht schlechthin erhaben über den
Raum, wäre an unsere Erde geheftet, wie die Atmosphäre. Nach
spiritistischen Erfahrungen besitzen ja die Seelen Abgeschiedener
einen Astralleib, der allerdings feiner als jedes Gas, aus aller-
kleinsten Teilchen zusammengesetzt ist. Auch dieses Seelische
könnte, nachdem es einen ersten Körper zum Leben gebildet hat,
den es mit einem Teil seiner selbst, einer Seele, ausstattete, mit
diesem beseelten Lebewesen in stetem seelischen Kontakt bleiben.
Da es nicht mit der Weisheit der Weltseele ausgestattet ist, erklärte
es sich besser, warum seine ersten Schöpfungen nicht gleich
die Vollkommenheiten der höchstentwickelten Lebewesen zeigen,
die erst im späteren Stadium der Erdgeschichte aufgetreten sind.
Man könnte schliesslich auch daran denken, die mit einem
lebenden Individuum verbundene Seele als völlig oder doch beinahe
völlig unabhängig von irgendwelcher unbewussten psychischen Beeinflussung
von aussen her anzusehen. In diesem Falle müsste
sie über all die Vermögen selbst verfügen, die zur Ausbildung der
Zellen und Organe, der Sinne und Bewegungsmechanismen, geführt
haben.
Dank unserer Augen orientieren wir uns im „Augenblick'*
über die in einem Raum vorhandenen Gegenstände, richten danach
unsere Handlungen und Bewegungen ein. Die Zellseelen müssen
nach der letzterwähnten Annahme ein diesem vergleichbares Vermögen
besitzen, sie müssen in der Lage sein, den chemischen
Molekülen ihre Eigenschaften anzumerken und mit ihnen zu ope-
rieren, wie mit Steinen, die wir, entsprechend ihrer mit unseren
Augen erkannten Form, evtl. vorher zugehauen, zu einem Bau verwenden
.
Neben diesem ganz wunderbaren chemischen Vermögen der
Zell- und auch wohl der Individualseelen muss die Psyche, wie wir
schon andeuteten, auch eine Unzahl physikalischer Gesetzmässig-
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