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Huber: Hellsehen
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hört er alles, besser als ein Mensch im Wachen. Er sieht nichts
als das, worauf er innerlich seine Aufmerksamkeit richtet und im
allgemeinen richtet er seine Aufmerksamkeit nur auf das, worauf
man sie (der Magnetiseur) nach eigenem Willen lenkt. Er sieht
oder besser er empfindet das Innere des eigenen Körper
s und anderer Menschen. Gewöhnlich richtet er
sein Empfindungsvermögen nur auf Teile, die nicht im normalen
Zustande sind oder die Harmonie stören. Er vermag Dinge vorauszusehen
und vorauszuempfinden, ist hier jedoch in mehrfacher
Hinsicht der Möglichkeit des Irrens unterworfen und diese Fähigkeit
ist überhaupt eine begrenzte." 9
Wir finden hier nun durch Puysegur bearbeitet eine alte Tat-
sache, die des Hellsehens zu verschiedenen Zwecken, in erster
Linie aber zur Krankenbehandlung, in neuem Gewand, und zwar
in dem „magnetischen Schlafzustand" wieder aufblühen. Was bei
den alten Indern als „Traumschlaf'* bezeichnet wird, und in welchem
diese eine Unmasse von „Offenbarungen", besonders religiöser Art
erhielten, das ist der von Puysegur entdeckte künstliche Somnambulismus
. Das Altertum kannte diesen Schlaf, und auch die Re->
ligionsphilosophie der C h a 1 d ä e r und Ägypter ist zum
großen Teil aus dem Hellsehen in diesem Schlafzustand hervorgegangen
. Die der Geschichte älteste bekannte Hellseherin, von
welcher H e r o d o t berichtet, weilte im astronomischen Turm zu
B o r s i p a , dem „babylonischen Turm" der Bibel. Die Medizin,
im Altertum in den Händen der Priester, bediente sich ebenfalls
bei ihren Heilungen eines* Schlafzustandes, des sogenannten
Tempelschlafes, während welchem die Wahrträume eine besondere
Rolle spielten. Nach Bädern, Salben, verschiedenen Räucherungen
in den Tempeln der Ägypter, wurden die Kranken durch!
Fasten und besondere Kleidung zum magnetischen Schlafe vorn
bereitet, in welchem ihr „Heilinstinkt" frei waltete, wie sich Kiesewetter
ausdrückt. In diesem Schlafe wurden sie von den Priestern
beobachtet, welche ihnen nach dem Erwachen Mitteilung von
dem machten, was sie hellsehend (nach ägyptischer Auffassung
durch die Gottheit) über den Verlauf der Krankheit, die anzuwen-
denden Mittel usw. ausgesagt haben. Die Prophetie der Juden ist
Hellsehen und die delphinischen Orakel beweisen dasselbe.
So hat nun auch Puysegur die Fähigkeit des Hellsehens bei
seinen Somnambulen beobachtet. Als Therapeut war sein erstes
Interesse dieses Hellsehen zur Diagnostik und zur Krankenbehand-j
lung anzuwenden. Er entwickelte so verschiedene „hellsehende
Somnambule" die Krankheiten bei sich und anderen im künst-i
liehen Schlaf erkannten und häufig auch die Mittel zum Heilen
angaben. Es entstanden bald in Frankreich* Gesellschaften mit
dem Zwecke der Erforschung des Magnetismus und seine Nutz-
barmachung zu Heilzwecken auch im Sinne Puysegurs und man
glaubte ein Allheilmittel gefunden zu haben, so daß dem Hellsehen
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