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Eine merkwürdige Wolkenphantasie.
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stimmt in den Wolken, während sie nach oben scharf gezeichnet
waren. Der Elefant stieß mit seinem Kopf, an dem ein kurzer Rüssel
und ein langer Stoßzahn, ferner ein, durch eine Lücke in der
Wolke, angedeutetes Auge und ein deutlich erkennbares Ohr zu
sehen waren, dem Drachen in den riesigen, weit aufgesperrten
Rachen hinein.
Rüssel und Stoßzahn des Elefanten gingen völlig steil in die
Höhe hinauf. Am Ende des Ober- und Unterkiefers des Drachen
war je ein spitzer Zahn zu sehen. Am Nacken befand sich eine
leichte Einbiegung; die beiden Kiefer und der Rücken waren
schematisch durch gerade Linien angedeutet. Riesig
weit dehnte sich der Leib des Drachen nach hinten und nach
unten aus.
Das Tier zur Linken, das wie ein Bär aussah, hatte in dem
weit aufgesperrten Maul spitze, deutlich erkennbare Zähne; auch
Auge und Ohr, ja selbst die Haare im Nacken, die fast wie eine
Mähne aussahen, waren scharf gezeichnet. Ein leichter Zwischenraum
trennte das Maul des Bären von dem Nacken des Elefanten.
Der Bär schien den Elefanten nicht erreichen zu können. Um so
heftiger war der Kampf des Elefanten mit dem Drachen. Mit
Riesengewalt stieß jener seine Stoßzähne in den Oberkiefer des
Drachen hinein. Nichts an dem ganzen Gebilde war eindrucksvoller
, als die furchtbare Verzweiflung, mit der sich der Elefant
gegen den Drachen wehrte.
Fräulein H. hatte sofort das Gefühl, hier etwas „Übernatürliches
*' vor sich zu sehen. Schon die unheimlich schwarze Farbe
der Wolken wich völlig von der gewöhnlichen ab. Sie sah sich
eine Zeitlang das Wolkengebilde an und wandte sich dann an
ihren Begleiter mit der Frage, was er aus dem merkwürdigen Gebilde
herauslese. Dessen Eindruck war genau derselbe, wie der
von Fräulein H. Er sagte, er sehe einen Elefanten, der sich gegen
einen Drachen wehrt, während er im Rücken von einem Tier, das
einem Bären oder einem Löwen gleiche, angegriffen werde.
Als Fräulein H. allein in der Bahn saß und gerade über die
Elbbrücke fuhr, sah sie dasselbe Gebilde noch einmal, diesmal mit
einer hellen, halbmenschlichen Gestalt in der Mitte, die mit den
Armen langsam die beiden Tiere rechts, den Elefanten und den
Drachen, auseinanderschob. Ganz auffallend war der scharfe
Gegensatz zwischen der teerschwarzen Farbe der Tiere und dem
hellen Weiß dieser neuen Gestalt, die einen tierischen Kopf, dann
aber einen menschlichen Oberkörper mit kurzem, stämmigem
Hals zu haben schien. Während Elefant und Drache auf diese
Weise immer weiter auseinanderkamen, blieb der Bär dauernd dem
Elefanten im Nacken, aber immer mit derselben leichten Entfernung
zwischen beiden wie im Anfang. Während die dunklen
Gestalten alle nur im Profil zu sehen waren, zeigte die helle Ge-
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